Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
noch nicht so weit verheilt, dass er daran reiben durfte. Zu viel hatte er bei diesem Fall im letzten November verloren.
Er zog ein frisches, schwarzes T-Shirt über und schlüpfte in eine leichte Baumwollhose. Neben Emile wollte er nicht zu leger aussehen. Die Haare fasste er mit einem Gummi zum Zopf zusammen, warf einen letzten, kritischen Blick in den Spiegel, grunzte unwillig, als er dabei mit den Augen an seinem Bauch hängen blieb und beeilte sich dann wieder in die Küche zu kommen.
»Mmm. Riecht wirklich wunderbar«, lobte er.
»Wie war’s bei Sabine?«, wollte er dann wissen.
»Gut – wie immer. Leander und die Kleine waren beide auf ihre Art niedlich, und Tante Erna hat mich intensiv zu meinen Zukunftsplänen befragt und mich mit so viel Lebensweisheiten versorgt, dass ich wohl nach meinem Tod noch einmal auf die Erde zurückkehren muss, um sie alle abzuarbeiten«, lachte sie gut gelaunt. »Sabine lässt dich grüßen und möchte auch gerne mal wieder was von dir hören. Sie meint, du arbeitest zu viel!« Der Schalk blitzte aus Jules Augen und Peter Nachtigall ließ sich von ihrer gelösten Stimmung anstecken.
»Warst du so lange bei deinem Training? Ich bin beeindruckt.« Nachtigall warf Emile einen raschen Blick zu, konnte aber keinerlei Spott in dessen Zügen entdecken.
»Nein. Kaum kam ich raus, wurde ich zu einem Tatort gerufen. Das dauert eben seine Zeit.«
»Wieder ein Mord?«
»Das ist noch nicht sicher. Die Todesursache ließ sich nicht einwandfrei feststellen. Vielleicht ist die alte Dame eines natürlichen Todes gestorben, sie war wohl ziemlich krank. Aber das klärt sich morgen.«
Casanova strich hoffnungsfroh um die Beine seiner Menschen und schnurrte dabei so laut, dass es trotz der Musik unüberhörbar war.
Emile bückte sich und nahm das große Tier auf den Arm. Willig schmiegte Casanova seinen eindrucksvollen Kopf an Emiles Schulter und beschloss gelassen abzuwarten – es würde schon etwas für ihn abfallen. Jule lachte amüsiert.
»Mein lieber Freund, heute gibt es vegetarische Kost! Keine Chance für mäuseverschmähende Tigerähnliche.« Als habe er sie verstanden warf er ihr plötzlich einen schlecht gelaunten Blick zu und schnurrte nun demonstrativ und eindringlich an Emiles Ohr, um ihn mit Schmeicheleien seinem Willen zu unterwerfen.
»Na, du kleiner Schmarotzer«, sagte der und streichelte liebevoll über das rot-getigerte Fell des Katers. »Ist das wahr, du magst keine Mäuse?«, flüsterte er ihm dann leise in eines seiner großen Ohren.
»Ja, das stimmt. Dieser stattliche Kater hat einen Pakt mit den kleinen Nagern geschlossen: Sie dürfen hin und wieder im Keller stöbern oder tiefe Gänge im Garten graben, und er verpflichtet sich im Gegenzug ihnen nichts zu tun! Schlimmer noch: Läuft irgendwo etwas, ignoriert Casanova das. Ja, mein Lieber, wir haben das längst durchschaut. Er muss wohl eine Mäusehaarallergie haben, der Ärmste«, antwortete Nachtigall und goss sich schmunzelnd auch ein Glas Wein ein. Dann schlenderte er betont gelassen zum Kühlschrank hinüber.
»Du wirst doch wohl nicht!«
Ertappt zuckte der Hauptkommissar zusammen, setzte dann aber seinen Weg fort. Manchmal mussten Männer eben auch artübergreifend zusammenhalten und Gemüserisotto war eben nicht für jeden in der Familie die Offenbarung. Schnurrend nahm Casanova eine Scheibe Wurst entgegen und warf Jule einen triumphierenden Blick zu. Sie lachte gutmütig und sah ihn zärtlich an.
»Sag mal, Paps, was hast du da eigentlich am Arm?«, fragte sie dann übergangslos.
Nachtigalls rechte Hand schnellte hoch und ertastete die Schwellung.
»Och – wahrscheinlich nichts. Sieht ein bisschen aus wie die Pest!«
»Nein, tut es nicht«, korrigierte ihn seine Tochter ernst. »Die Pestbeulen sahen völlig anders aus. Ich habe gerade ein Buch darüber gelesen. Aber ich glaube, du solltest damit zum Hautarzt gehen. Du weißt schon – es könnte sehr gut ein malignes Malinom sein.«
»Ach ja – klar. Wo ich auch dauernd in der Sonne rumliege! Das ist nichts.«
»Lass mal sehen«, forderte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und griff nach seinem Arm. »Das blutet ja sogar!«
Emile war auch dazu gekommen und Nachtigall begann sich ausgesprochen unbehaglich zu fühlen. Krebs – so ein Quatsch! »In unserer Familie gibt es keine Krebserkrankungen, wir haben eine sehr gute genetische Ausstattung«, behauptete er großspurig.
»Paps, als du Kind warst, hat doch noch keiner
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