Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
Aufschrei wurde er von Schwester Hilde begrüßt, die ihn sofort mit allen Einzelheiten des Falles vertraut machte. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus und Nachtigall musste sich sehr konzentrieren, um nichts zu verpassen.
»Ich komme täglich zweimal. Frau Markwart konnte sich nicht mehr allein versorgen und so habe ich das übernommen. Auch ihre Medikamente habe ich dosiert. Heute brannte kein Licht, was extrem ungewöhnlich ist, weil Frau Markwart bis spät in die Nacht vor dem Fernseher saß.Wäre ihre Lieblingsserien von einem rücksichtslosen Programmgestalter einfach abgesetzt worden – wegen Fußball zum Beispiel – hätte sie mit Sicherheit am Fenster gesessen, hat sie aber nicht. Da habe ich mir schon ernsthaft Sorgen gemacht. Natürlich habe ich einen Schlüssel und so habe ich überall nachgesehen und das Licht eingeschaltet. Da werden Sie überall meine Fingerabdrücke finden. Ich habe laut nach ihr gerufen. Sie lag auf dem Küchenfußboden. Ich weiß natürlich ganz genau, was ich in so einem Fall zu tun habe, und der Herr Doktor Trost«, sie machte eine Handbewegung in die Richtung des Mannes, der auf einem der Stühle am Küchentisch saß, »ist auch gleich gekommen. Aber mir kam die Sache von Anfang an komisch vor und deshalb habe ich bei der Polizei angerufen. Der Herr Doktor will aber einfach nicht glauben, dass sie nicht eines natürlichen Todes gestorben sein kann.« Sie ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken.
Der Arzt erläuterte selbstsicher seinen Standpunkt.
»Frau Mandel rief mich an und bat mich zu kommen, um bei Frau Markwart den Tod festzustellen.« Sie lag hier auf dem Boden, der Körper war schon ausgekühlt und sie zeigte keinerlei Lebenszeichen mehr. Meiner Meinung nach ist sie schon seit Stunden tot. Als ich nun den Totenschein ausstellen wollte, äußerte Frau Mandel Zweifel an der Natürlichkeit des Todes behauptet seither steif und fest, es handele sich um Mord.« Er holte tief Luft. Um seinen Mund spielte jetzt ein geringschätziges Lächeln. Später fragte sich Peter Nachtigall manchmal, ob es nicht genau dieses Lächeln war, das ihn zu seiner Entscheidung bewogen hatte. Vielleicht waren es aber auch die unfreundlichen Worte, die er eingangs von ihm gehört hatte. Er konnte arrogantes Gehabe nun einmal nicht ausstehen.
»Frau Markwart war seit Jahren meine Patientin. Sie litt an vielen Krankheiten und Begleiterscheinungen des Alters. Seit Langem schon verließ sie ihre Wohnung nur, um das Allernotwendigste zu erledigen und dann bedeutete es jedes Mal eine fast übermenschliche Anstrengung für sie. Schließlich musste sie ihr immenses Gewicht bewegen. Alle Hinweise auf eine vernünftigere Ernährung perlten an ihr ab. Sie war der Meinung, wenn das Leben schon sonst nichts mehr böte, wolle sie sich nicht auch noch auf den Genuss verzichten. Also naschte sie weiter Pralinen, kippte Sahne in den Kaffee und trank ihn mit viel Zucker. Für Kuchen war sie immer und jederzeit zu haben, wie auch für alle anderen Dinge, die fett und wohlschmeckend waren. Ich bin nicht wirklich erstaunt über ihren Tod. Er ist eine natürliche Folge ihres Allgemeinzustandes.«
Bevor Nachtigall überhaupt etwas dazu sagen konnte, rief Schwester Hilde wütend:
»Ich war heute früh hier und da ging es ihr blendend. Und nur weil die Ärzte immer gerne Ärger vermeiden wollen, steht auf viel zu vielen Totenscheinen bei Todesursache: natürlich! Deshalb wird so mancher Mord nicht entdeckt. Und ich bin mir ganz sicher: Frau Markwart ist umgebracht worden!« Ihre Augen sprühten wütende Blitze.
Nachtigall sah sie nachdenklich an. Es war ein ganz schönes Risiko sich derart mit einem Hausarzt anzulegen. Vielleicht würde er in Zukunft diesen Pflegedienst nicht mehr empfehlen. Er war von der Hartnäckigkeit der Schwester beeindruckt.
»Gut«, sagte er und die Streitenden sahen ihn etwas überrascht an – so, als hätten sie seine Anwesenheit über ihren Disput ganz vergessen. »Rufen Sie in der Pathologie an und melden Sie uns an. Da keine Einigung möglich scheint, entscheidet der herbeigerufene Hauptkommissar. Es wird eine Obduktion durchgeführt, da ein Verbrechen nicht ausgeschlossen werden kann«, wies er den Kollegen Beil an.
Schweigend nahm der Arzt seinen Mantel von der Stuhllehne, nickte kurz und verschwand.
Peter Nachtigall rief Dr. März an und bat um eine Obduktionsgenehmigung. Zu seiner Überraschung stieß er beim Staatsanwalt auf heftigen Widerstand.
»Wenn der Arzt der
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