Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
Friederike schwanger geworden ist, hat sich die Situation wieder verändert, oder?«
Fast so etwas wie Bewunderung lag jetzt in Marlins Blick.
»Ey, Alter – ich bin erstaunt. Was ihr schon alles wisst! Und wir dachten schon, ihr kriegt das nie raus, wenn wir euch das nicht irgendwie stecken.«
»Wir sind die Kriminalpolizei, schon vergessen? Wir kriegen solche Sachen von Berufs wegen raus. Also, wie war das nun, als Friederike schwanger wurde?«
»Na, er wollte das Kind – sie nicht. Sie hat es wegmachen lassen, als er ein paar Tage nicht da war. Er hat sie besucht und als er erfahren hat, dass sie das Kind abgetrieben hat, ist er völlig ausgetickt. Er hat sie so richtig zusammengeschlagen. Aber ändern konnte er es nicht mehr. Danach war Schluss. Und uns lässt er jetzt auch wieder weitgehend in Ruhe. Kommt nur ab und an vorbei und fordert was – aber er ist nicht mehr so brutal.«
»Dann ist es jetzt für euch besser?«
»Wie man’s nimmt. Wir wissen was er kann – und deshalb haben wir auch weiterhin Angst. Du weißt doch nie, was in seinem Kopf vorgeht.«
»Friederike hatte doch noch mehr Feinde. Hat sie mal darüber gesprochen, dass sie verfolgt wird, oder dass sie Angst hat?«
Michael Wiener fing den seltsamen Blick der jungen Asiatin ihnen gegenüber auf. Sie schien gebannt auf etwas zu starren. Langsam folgte er ihrer Blickrichtung, sah Marlin kritisch an. In dem Moment entdeckte er es auch: Unter dem Saum der Jacke hing Lucifers Schwanz heraus. Er bewegte sich träge hin und her. Vielleicht war die Ratte eingeschlafen.
Hastig stopfte er den Schwanz wieder unter die Jacke zurück und lächelte dabei entschuldigend. Sollte die junge Frau ruhig glauben, dieses Teil gehöre irgendwie zu Marlin. Doch Lucifer hasste es offenbar im Schlaf gestört zu werden, jedenfalls gelang es ihm sich in Sekundenschnelle in einen wahren Teufel zu verwandeln, der nur noch aus Krallen und Zähnen zu bestehen schien.
Erst schrie Michael Wiener, als Lucifer seine scharfen Zähne in sein Fleisch schlug, dann die Asiatin, als die Ratte unter der Jacke zum Vorschein kam, und zum Schluss Marlin, der seinen Nagerfreund wieder in sein Versteck zurückzuschieben versuchte.
Lucifer verstand die Welt nicht mehr und suchte sein Heil in einer halsbrecherischen Flucht.
Das Geschrei der Asiatin schwoll zu enormer Lautstärke an, als das Tier im Abstand von wenigen Zentimetern an ihren Füßen vorbeihuschte und versuchte eine Ecke zu erreichen.
Marlin hechtete hinter seiner Ratte her, doch die missverstand den Rettungsversuch gründlich und jagte in eine andere Ecke bevor Marlin sie erreichen konnte. Nach einer wilden Hatz gelang es ihm schließlich doch noch Lucifer zu packen und die hysterisch um sich schnappende Ratte unter seine Jacke zu stecken.
Der Tumult hatte eine Schwester aus der Notaufnahme herbeigelockt. Marlin plus Ratte erhielten eine Gardinenpredigt, mussten sich ins Auto setzten und dort warten, während der Ermittler von der zornigen Pflegekraft ziemlich unsanft erstversorgt wurde.
Eine halbe Stunde später kehrte Michael Wiener zu seinem Wagen zurück und hielt anklagend seinen bandagierten Mittelfinger hoch. Er wies damit auf den noch immer nervösen Lucifer und fluchte:
»Du Ratte!«
Dazu fiel selbst Marlin kein Kommentar mehr ein und er sah betreten auf seine löchrige Jeans.
»Und gegen Tetanus und Tollwut haben die mich auch gleich geimpft – jetzt kann ich gefahrlos alle Verbrecher beißen!«, er fletschte sein – im Vergleich zu Lucifers – eher harmloses Gebiss.
Sie lachten so sehr, dass der Wagen wackelte.
»Gut. Genug Spaß für einen Vormittag. Weiter im Text – hat Friederike sich außer vor Udo Wolf noch vor anderen Leuten gefürchtet?«
»Jaaaa – irgendwie schon. Diese Eltern, die sie mal verklagt hatte, die haben ganz schön oft vor ihrem Haus rumgelungert.«
»Rumgelungert?«
»Na, ja – die waren halt ständig vor Ort. Manchmal war es so schlimm, dass Friederike sich nicht vor die Tür getraut hat. Dann ist ihre Freundin für sie einkaufen gegangen.«
»Aber die konnten ihr doch nicht wirklich was tun, oder?«, fragte Michael Wiener und versuchte sich daran zu erinnern, wie Peter Nachtigall diese Leute beschrieben hatte. »Die eine Frau hat Krücken, ein Mann sitzt im Rollstuhl und die beiden anderen Damen hätten sie wohl auch nicht verprügelt. Wieso hatte sie also Angst?«
»Das wusste sie glaube ich selbst nicht so genau. Vielleicht hat sie gedacht, die rufen
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