Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
Sicher nicht! Dazu sehe ich keine Veranlassung.«
»Weißt du eigentlich, was so was kostet?«, fragte er sachlich.
»Nun, als mich mein lieber Mann Gustav«, sie unterbrach sich, als ihr Bruder höhnisch auflachte, »mich leider allein zurückließ, da beliefen sich die Kosten auf rund zwanzigtausend Euro. Er hatte schon zu Lebzeiten alle entsprechenden Arrangements getroffen und in seiner letzten Verfügung auch den Ablauf der Zeremonie festgelegt. Es war ein sehr stilvolles Begräbnis. Eine Bläserkapelle spielte zu seinem letzten Geleit.«
»Mutter mochte keine Blasmusik. Und ich glaube auch nicht, dass sie irgendwelche Verträge für den Fall der Fälle abgeschlossen hatte. Wir werden es wohl selbst organisieren müssen«, stellte er trocken fest.
»Nun, in diesem Fall wird wohl eine bescheidene Beerdigung passend sein. Wir sollten uns da nichts vormachen: Es werden eh nicht viele Trauergäste erscheinen.«
»Was ist denn die günstigste Variante? Kiefer? Oder doch lieber verbrennen? Ein Urnengrab ist nicht so teuer.«
»Verbrennen? Ich glaube eigentlich nicht, dass Mutter sich das ausdrücklich gewünscht hätte, aber wahrscheinlich hast du recht. Wenn wir hier fertig sind, werden wir das klären.«
»Warum dauert das nur so lange. Wir waren doch mit Termin bestellt.« Ihr Zorn kehrte zurück. »Ich kann es nicht leiden, wenn man mich warten lässt!«
»Oh, mir macht das nichts aus. Ich bin, wie du ja weißt, daran gewöhnt und stets gut vorbereitet.«, giftete er sie an und zog triumphierend einen Krimi aus der Tasche seines Jacketts.
Kurze Zeit später eilte ein schwarzgekleideter Riese über den Gang auf sie zu.
»Endlich«, seufzte sie und schlug mit der Hand gegen den Buchrücken, damit ihr Bruder das Paperback zuklappte. Es sollte nur niemand glauben, man könne die Geschwister noch länger warten lassen.
38
Die Praxis der Ärztin lag ziemlich versteckt in einem der größeren Wohnblocks in Neuschmellwitz.
Sein Eintreten sorgte für neugierige Blicke. Michael Wiener fühlte sich etwas unbehaglich, als er an den Tresen trat und seinen Ausweis vorlegte.
»Ja, bitte?«, fragte die Sprechstundenhilfe schnippisch und sah ihn provozierend an.
»Ich hätte gerne Frau Dr. Grün gesprochen. Es geht um eine ihrer Patientinnen.«
»Aha. Sie wissen aber schon, dass wir nie Informationen über unsere Patientinnen weitergeben.«
Damit schob sie sich um die Ecke und verschwand hinter einer von vielen weißen Türen. Kurze Zeit später konnte Michael Wiener das Arbeitszimmer der Gynäkologin betreten.
»Bitte?«
Die Stimme war eisig.
Neugierig betrachtete er sein Gegenüber. Sie war sehr klein und von recht kräftiger Statur. Die dunkelblonden Haare hatte sie zu einem strengen Knoten zusammengesteckt, der Blick aus ihren grünen Augen war kalt.
»Ich komme wegen einer Ihrer Patientinnen – Friederike Petzold. Wir wissen, dass sie zur Schwangerenberatung hier bei Ihnen war und Sie den Abbruch befürwortet haben.«
»Und?«
»Frau Petzold wurde Anfang der Woche ermordet und uns interessiert, was für einen Eindruck Sie von der jungen Frau hatten.« Michael Wiener kämpfte gegen seine Nervosität an und unterdrückte mühsam ein Stottern.
»Ach.«
Sie drehte sich um und verließ den Raum. Als sie wiederkam, hielt sie eine schmale Akte in den Händen.
»Friederike Petzold. Sie kam in der neunten Schwangerschaftswoche zu mir. Sie wusste schon von ihrem Zustand – einen Test hatte sie bereits gemacht. Die Untersuchung ergab einen Normalbefund.«, die Ärztin blätterte in dem Hefter.
»Ich erinnere mich noch sehr gut an die junge Dame. Sie wusste ganz genau, was sie wollte und was nicht. Auf keinen Fall wollte sie das Kind. Sehen Sie, zu mir kommen viele Frauen, die sich mit ihren Partnern zerstritten haben und nun von diesem Mann auch kein Kind mehr wollen. Oder junge Frauen am Beginn ihrer beruflichen Ausbildung, die nicht wissen, wie es mit Kind weitergehen soll. Aber diese war anders. Sie erzählte mir von einer Vergewaltigung, die sie allerdings nicht zur Anzeige gebracht hätte. Nun erwarte sie ein Baby von dem Vergewaltiger, das sei für sie ein unerträglicher Zustand.«
Michael Wiener sah auf. Die Geschichte war neu.
»Und, haben Sie ihr das geglaubt?«
»Nein. Das erzählen mir viele und nur bei wenigen stimmt es auch. Ich habe ihr auf den Kopf zugesagt, dass ich diese Geschichte nicht glaube, und da tischte sie mir eine neue Variante auf: Ihr leiblicher Vater sei der
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