Seelenrächer
über das Thema Väter war bei ihnen zu Hause nie gesprochen worden: Es gab nur ihn und seine Mutter. Die örtliche Polizei schien, was ihr »Geschäft« betraf, ein Auge zuzudrücken. In Limerick hatten sie in einem kleinen Apartment gewohnt, bis der Stadtrat sie am Ende hinauswarf. Rückblickend kam es ihm so vor, als hätten die Kunden damals zu jeder Tages- und Nachtzeit bei seiner Mutter geklopft. Sooft nebenan einer auf ihr herumzukeuchen begann, hatte er den Kopf in seinem Kissen vergraben, um die Geräusche nicht mehr hören zu müssen.
Nun sah er sich am Schultor mit Jimmy konfrontiert – ausgerechnet Jimmy, der ironischerweise zusammen mit ihm und Eva den Katechismusunterricht besucht hatte. Nicht, dass er dabei aufgepasst hätte. Sein alter Herr hatte ihn nur hingeschickt, weil seine Mutter religiös war. Trotz seiner mageren Gestalt war er kräftig und konnte ziemlich grob werden. Jetzt lehnte er mit einer ganzen Horde anderer Schüler am Tor. Einer von ihnen blickte hoch, als Conor um die Ecke bog. An Jimmy gewandt murmelte er irgendetwas, woraufhin sich alle nach Conor umdrehten. Vor Schreck verlangsamte er seinen Schritt. Er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Verlegen starrte er auf den Asphalt hinunter. Ihm war auf sehr unangenehme Weise bewusst, dass er gleich an ihnen vorbei musste.
Es waren zwanzig oder mehr Jugendliche, nicht nur aus seinem Jahrgang, sondern auch aus den Jahrgangsstufen darüber und darunter.
Ältere, aber auch jüngere. Einer von ihnen rief plötzlich: »Hey, Made, wie geht’s deiner Ma? Wie fühlt sie sich denn heute Morgen?«
Die anderen lachten wie verrückt. Conor zitterte. Er spürte ein heißes Gefühl in der Blasengegend, und gleichzeitig stiegen ihm die Tränen in die Augen. An diesem Tag war es viel schlimmer als sonst, aber ihm blieb keine Wahl, es gab keinen anderen Weg in die Schule. Er wusste selbst nicht mehr, wie oft er schon gezwungen gewesen war, diese Art von Spießrutenlauf hinter sich zu bringen. Meist ging es schon irgendwie, also würde er es auch heute schaffen. Bloß, dass es an diesem Morgen viel mehr waren als sonst.
»Sie hat ein beachtliches Paar Titten, nicht wahr?«, spottete ein anderer Junge. »Zwar hängen sie nach unten wie Kartoffeln in einem Sack, aber dafür sind sie verdammt groß!«
Conor blieb wie angewurzelt stehen. Er hatte die höhnischen Bemerkungen gehört, gleichzeitig aber auf der anderen Seite des Schulhofs, drüben bei den Korbballpfosten, Eva erspäht. Mit ihrem rotbraunen Haar und den Sommersprossen auf der Nase war sie so schön – das einzig Schöne in seinem Leben. Und sie hatte immer ein freundliches Wort für ihn. Ihr Blick war auf die Meute gerichtet. Bestimmt begriff sie, was hier vor sich ging.
»Sie ist hässlich wie ein Schwein, Jungs, das kann ich euch sagen«, meldete Jimmy sich zu Wort. Er hielt eine Polaroid-Aufnahme in der Hand, und die anderen Jugendlichen scharten sich um ihn, um einen Blick darauf zu werfen. »Ich berechne euch was dafür«, witzelte Jimmy. »Schließlich muss ich das Geld irgendwie wieder hereinbekommen. Riesige Hängetitten hat sie und eine echt haarige Muschi.«
Conor sperrte den Mund auf.
»Möchtest du auch einen Blick darauf werden, Maggot? Nein? Da wärst du auch schön blöd, schließlich hast du das gar nicht nötig. Du siehst die alte Hexe ja jeden Tag!« Er hielt das Foto hoch und wedelte damit wie mit einem Fächer vor Conor herum.
»Sie weiß nicht, dass ich sie fotografiert habe. Sie war total besoffen, die fette Schlampe.«
Conor stürzte sich auf ihn. Wie ein Tier bahnte er sich einen Weg durch die Meute und setzte zum Sprung an, doch Jimmy war zu schnell für ihn: Mit einer raschen Bewegung brachte er das Foto außer Reichweite und knallte gleichzeitig die andere Hand gegen die Schläfe seines Angreifers. Conor, der bereits aus dem Gleichgewicht geraten war, ging zu Boden. Er landete auf allen vieren, und die anderen Jugendlichen, Mädchen wie Jungs, begannen nach ihm zu treten.
Das Nächste, woran er sich erinnern konnte, war, dass die Meute plötzlich auseinanderstob und einer von den Lehrern quer über den Pausenhof schrie. Er, Conor, lag mittlerweile mit dem Gesicht auf dem Boden und schmeckte Blut. Als er den Kopf hob, wedelte Jimmy mit dem Bild seiner halbnackten Mutter vor seiner Nase herum. Einen Moment später war das Foto verschwunden und Jimmy ebenfalls. Ein Lehrer zerrte Conor am Ellbogen hoch.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er in
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