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Seelenrächer

Seelenrächer

Titel: Seelenrächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G O'Carroll
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inspirieren lassen. Beim Gedanken an Kavanagh hatte Maguire plötzlich ein paar Gedichtzeilen im Kopf:
    Winter umschließt mich
    Wie mit Gehegen.
    Das Licht, das Lachen, der Tanz
    Dagegen.
    Ein paar Zeilen, an die sich Maguire noch aus seiner Schulzeit erinnerte. Diese Worte bargen alles in sich, was er im Moment empfand. Er konnte sich nicht entsinnen, während all seiner Jahre im Polizeidienst schon jemals einen solchen Tag erlebt zu haben.
    Nachdem er die Straße überquert hatte, betrat er ein vierstöckiges georgianisches Gebäude, das in Apartments umgewandelt worden war. Das oberste gehörte seinem kleinen Bruder, der gerade in Quinns Haus auf dessen Töchter aufpasste.
    Drinnen hob er Patricks Post auf und stieg die Treppe zur Wohnung hinauf. Sie war nichts Besonderes, aber Paddy konnte sich mit seinem Gehalt auch nichts Besonderes leisten. Obwohl das Schlafzimmer separat war, erinnerte das Ganze im Grunde an eine Ein-Zimmer-Studentenbude. Allerdings ging die Wohnung auf den Kanal hinaus, und wenn die Bäume belaubt waren, verbargen sie die Einkaufswagen, die Plastikflaschen und all den anderen Müll, der sonst den schönen Blick aufs Wasser verschandelte. Im Moment hatte Maguire jedoch sowieso kein Auge für den Kanal. Kavanaghs Worte ließen ihm keine Ruhe. Dort auf dem Kaminsims stand das Foto, das sein Bruder nicht aus der Hand geben wollte. Maguire starrte die Frau darauf an: ihr fahles Gesicht, umrahmt von fettigem Haar, das ihr, zu einem strähnigen Zopf geflochten, über eine Schulter fiel.
    Sein Bruder hatte keinen Namen bekommen.
    Er war bereits drei Monate alt, und sie waren schon seit Wochen wieder zurück in ihrer schmuddeligen Mietwohnung. Franks Mutter erklärte ihm, die Hebamme sei auf dem Weg zu ihnen, woraufhin er sich voller Panik ans Aufräumen machte. Während sie ihm von ihrem Sitzplatz aus Anweisungen gab, stieg der Rauch ihrer Zigarette spiralförmig zur Decke hoch. Die Haut schien von ihrem Gesicht zu hängen: Es sah aus, als hätte sie graue Säcke unter den Augen. Make-up trug sie nie.
    »Frank, hast du die Bude nun bald auf Vordermann gebracht? Nun mach schon, du kannst doch wohl das Geschirr in die Spüle stellen und die Arbeitsfläche sauber wischen!«
    Die Küche bildete einen Teil des Wohnzimmers, und während er unter dem Spülbecken nach einem Lappen suchte, saß sie immer noch in ihrem Sessel. Anders kannte er sie gar nicht. Sie bewegte sich selbst dann nicht aus ihrem Sessel heraus, wenn das Baby schrie.
    Im Moment weinte der Kleine auch gerade wieder. Frank nahm mit seinem Lappen die eingetrockneten Flecken auf der Arbeitsplatte in Angriff: Baked Beans mit Würzsauce. Im Abtropfgitter klebte noch das Ei, das er seiner Mutter kürzlich gemacht hatte. Eigentlich war sie an dem Tag viel zu betrunken gewesen, um etwas zu essen, hatte aber trotzdem danach verlangt. Als er ihr das Ei brachte, war es steinhart, und sie hatte damit nach ihm geworfen.
    »Mach schon, Frank«, drängte sie nun, »bestimmt kommt sie gleich, und wenn es hier drin dann nicht blitzblank ist, weißt du ja, was passiert: Dann landest du in der strengen Schule, Frank, wo die Priester das Sagen haben und du arbeiten musst, bis du umfällst.« Spöttisch grinste sie ihn an, die Hand um das Glas gelegt, das sie gleich verstecken würde – wie sie es immer tat, wenn jemand vorbeikam. In letzter Sekunde spülte sie es ab und durchwühlte anschließend ihre Handtasche nach einem Kaugummi, auch wenn dessen Geschmack den unangenehm süßlichen Geruch ihres Atems nicht überdecken konnte.
    Mit dem Lappen in der Hand wandte sich Frank zu ihr um. »Mam, sie wird nach dem Baby fragen.«
    »Was?«
    »Die Hebamme, sie wird nach dem Baby fragen.«
    »Was sollte sie da fragen?« Sie klang noch eine Spur gereizter. Ein letzter Schluck, dann reichte sie ihm das Glas.
    »Mam«, sagte er noch einmal, »die Hebamme wird wissen wollen, wie es dem Baby geht.«
    »In Gottes Namen, wie soll es dem verdammten Baby denn gehen? Wütend funkelte sie ihn an. »Der kleine Scheißer ist doch sauber, oder?«
    »Nein, ist er nicht. Ich kann seine Windel riechen.«
    »Dann wechsle sie, Herrgott noch mal! Er ist dein Bruder, Junge. Es ist deine Aufgabe, ihm die Windeln zu wechseln.«
    Als er den Mund öffnete, wurde ihr Blick noch wütender.
    »Wage es ja nicht, mir zu widersprechen! Mir reicht schon das eine quengelnde Gör im Haus. Sieh zu, dass du ihn trockenlegst, ja? Nun mach schon! Es sei denn, du willst, dass die Hebamme euch alle

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