Seelenrächer
säuerlicher Miene.
»Die Frage erübrigt sich ja wohl«, meinte Doyle mit einem halben Lächeln. »Auch wenn sie seit jeher eine Schwäche für Moss Quinn hat, würde sie nicht so weit gehen, seine Frau zu beseitigen. Außerdem weiß sie, wie gut wir das finden, dass sie Alexej Bris in Schach hält.«
»Trotzdem verscherbelt sie den Schnee, Mann. Wo liegt da der gottverdammte Unterschied?«
»Sie verscherbelt das Zeug nicht in Irland. Das ist der gottverdammte Unterschied.«
Finucane stellte seine Rückenlehne etwas gerader. »Dieser Russenarsch weiß genau, dass sie es ist. Was bedeutet, dass früher oder später Blut fließen wird, und da kann es nur einen Gewinner geben.« Er stand auf und steuerte auf die Bar zu.
»Über die Kampflinien können wir ein andermal sprechen«, entgegnete Doyle. »Die Uhr tickt, Johnny – und ich meine das wirklich so. Wie du ganz richtig festgestellt hast, sprechen wir hier über die Tochter meines Bruders. Irgendjemand weiß, was passiert ist, und dieser Jemand kennt auch den Grund. Sollten wir sie nicht finden, werden Quinn und ich Leute wie dich dafür verantwortlich machen, und dann Gnade euch Gott!«
Finucane hüllte sich in Schweigen.
»Du kümmerst dich also darum? Ich gehe davon aus, dass du nördlich des Flusses immer noch der entscheidende Mann bist.«
Finucane gab ihm noch immer keine Antwort.
»Ich möchte meine Nichte lebendig und wohlauf präsentiert bekommen, und den Kopf des Mistkerls auf einem Tablett. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, Johnny?«
»Weißt du eigentlich, Doyle«, entgegnete Finucane ruhig, »dass du dich für einen so alten Sack ganz schön weit aus dem Fenster lehnst? Eines schönen Tages hast du bei den Bullen ausgedient, und dann, in einer dunklen Nacht, nachdem du in irgendeiner schäbigen Bar am Arsch der Welt zu Abend gegessen hast …«
Doyle tätschelte den Griff der .38er, die er an der Hüfte trug. »Johnny«, sagte er, »komm mich einfach besuchen, wann immer du glaubst, dass ich alt genug dafür bin.«
Montag, 1. September, 18:30 Uhr
Laura Quinn sah sich mit ihrer Schwester Nickelodeon an, doch ihre Gedanken waren so weit von dem Zeichentrickfilm entfernt, wie sie nur sein konnten. Ihr Dad war noch immer unterwegs, und auch wenn die Lehrer versucht hatten, es vor ihnen zu verheimlichen, wusste sie doch, dass ihre Mutter von jemandem entführt worden war. Ihre Nan hatte aus Kerry angerufen. Grandad und Nana Quinn hatten sich ebenfalls gemeldet und zu ihr gesagt, sie solle ihrem Dad ausrichten, sie kämen früher aus ihrem Urlaub zurück. Sie hatte ihnen erzählt, dass Onkel Paddy auf sie aufpasse, während ihr Dad unten in Blackrock war. Ihre Mam sei vielleicht dort, irgendwo am Strand. Jedenfalls hoffte sie es.
Jetzt warf sie einen raschen Blick zu Onkel Paddy hinüber, der im Wohnzimmer am Esstisch saß, die Abendzeitung vor sich ausgebreitet. Er hatte die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und den Kopf auf die Fäuste. Laura ging zum Erkerfenster hinüber. Den Kopf gegen das Glas gepresst, starrte sie zu dem leeren Platz hinaus, wo normalerweise der Wagen ihrer Mutter stand. Ein paar von den Kindern in der Schule hatten erfahren, was passiert war, und Jess und sie im Lauf des Nachmittags mit vielen Fragen bedrängt. Man hatte ihr erzählt, der Wagen ihrer Mam sei vor dem Friedhof gefunden worden, wo Danny beerdigt war.
Als sie sich umsah, merkte sie, dass Onkel Paddy sie beobachtete. »Alles in Ordnung, Laura?«, fragte er sie jetzt lächelnd.
Sie zuckte mit den Achseln.
Jess blickte hoch. Sie war an dem Zeichentrickfilm genauso wenig interessiert wie ihre Schwester.
»Was möchtet ihr denn zum Tee?«
»Ich habe keinen Hunger«, antwortete Laura.
»Ich auch nicht.« Jess zog die Knie bis ans Kinn.
Onkel Paddy faltete die Zeitung zusammen und kam zu ihnen herüber. »Hört mal, Mädchen«, sagte er, »ich weiß, dass ihr euch Sorgen macht, aber ich kenne eure Mam. Die schafft das schon.«
»Jemand hat sie mitgenommen!« Laura klang panisch. »Jemand hat sie entführt!«
»Das sagen jedenfalls die anderen«, meldete Jess sich zu Wort, »das habe ich in der Schule gehört.«
Onkel Paddy strich ihr sanft übers Haar. »So nennt man das, ja, und es gibt ein paar böse Menschen auf der Welt. Aber eure Mam ist stark, und jeder Polizist im Land hält nach ihr Ausschau. Nicht nur jeder Polizist, sondern jede Person, Jessie. Sie werden sie finden, und zwar bald, das verspreche ich euch. In null Komma nichts
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