Seelensplitter - Marionette des Schicksals (German Edition)
bemerkte erstaunt, dass sich Zane
direkt hinter sie gestellt hatte. Sie begegnete seinem amüsierten
Blick und sofort war es wieder da – das völlige Aussetzen
der Schwerkraft, vollkommene Schwerelosigkeit, das Gefühl, das
sie in den letzten Wochen immer öfter entsetzt und zutiefst
verstört hatte.
Natürlich schwang die
Tür in exakt diesem Moment auf, riss Melica aus dieser seltsamen
Trance. Aufgeschreckt starrte sie in das eingefallene Gesicht
Samuels, der ihren Blick mit bemerkenswert klaren Augen erwiderte.
„Melica“, hauchte Jims Vater ungläubig, bestürzt.
Melica erlaubte sich ein
schwaches Lächeln. Zugegeben, sie hatte nicht damit gerechnet,
dass er sie erkennen würde. Sie hätte es auch niemals für
möglich gehalten, dass sie Samuel jemals in nüchternem
Zustand begegnen würde. „Kann ich bitte mit Jim sprechen?“
Samuels Blick huschte
nervös zu ihren beiden Begleitern. Oh ja – es konnte
durchaus sein, dass die beiden etwas bedrohlich wirkten. „Deine
Eltern haben dich für tot erklärt“, sagte er dann
plötzlich.
Melicas Augenbrauen
schossen in die Höhe. „Was?“
„ Du...b-bist letzte
Woche beerdigt worden“, erklärte Samuel stammelnd und
begann nervös, seine hageren Hände zu kneten.
So etwas bekam man wohl
auch nicht jeden Tag zu hören. „Nun“, Melica musste
sich tatsächlich räuspern, um weitersprechen zu können.
„Ganz offensichtlich lebe ich noch.“
„ Jim ist völlig
fertig gewesen!“, platzte es aus Samuel heraus.
Melica seufzte schwer.
„Kann ich bitte mit ihm sprechen?“
Ein Muskel in Samuels
Gesicht zuckte. „Wirst du ihn danach wieder allein lassen?“
Und Melica spürte,
dass etwas in ihr endgültig zerbrach. „Ich muss“,
flüsterte sie betreten.
„ Dann kann ich dich
nicht zu ihm lassen“, verkündete Samuel leise. „Ich
lasse nicht zu, dass er dich erneut verliert. Es würde ihn
zerstören.“ Offenbar war er wild entschlossen, Jim nach
all den Jahren so etwas wie ein Vater zu sein. So großartig
Melica das auch fand – im Moment konnte sie dies ganz und gar
nicht gebrauchen.
„ Du hattest Recht,
Tizian. Ich hätte nicht klopfen sollen.“
Hoffnung blitzte auf
Samuels Gesicht auf. „Das heißt, du verschwindest
wieder?“ Er klang aufrichtig überrascht.
Melica zerriss es fast das
Herz, als sie den Kopf schüttelte. „Tizian“, hauchte
sie, beinahe lautlos.
Wenige Augenblicke später
fiel Samuel mit einem dumpfen Schlag zu Boden. Und von Melicas
Unschuld brach ein weiteres Stück und ging für immer
verloren.
Zanes Mundwinkel zogen
sich nach oben. „Ich dachte, ihr Guten seid euch zu fein, um
Gewalt anzuwenden“, raunte er belustigt.
„ In der Liebe und im
Krieg ist alles erlaubt“, antwortete Melica betont unbekümmert.
Wäre sie ein Mensch
gewesen, dann hätte ihr Herzschlag unter Zanes intensivem Blick
ausgesetzt, da war sie sich ganz sicher.
„ Wir befinden uns im
Krieg?“ Er schnurrte tatsächlich…
„ Nein. In der Liebe.
Oder weißt du etwa nicht, wen wir hier gerade besuchen wol-“
Tizian war unter Zanes stechendem Blick immer leiser geworden, bis er
schließlich ganz verstummte.
„ So? Wen besuchen
wir denn?“, wandte sich Zane mit einem leisen Lächeln an
Melica. Den Spott versuchte er nicht einmal zu verstecken.
Melica verzog ihre Lippen
zu einem leichten Grinsen. „Meinen Seelenverwandten.“
Etwas Kaltes, Ungläubiges
blitzte in Zanes Augen auf, doch sein Lächeln blieb.
Tizian, sichtlich
erleichtert, weil Zane ihn für seine Worte nicht enthauptet
hatte, ging langsam in die Knie, griff nach Samuels Füßen
und zog ihn vorsichtig aus der Haustür.
Melicas Fassungslosigkeit
musste man ihr deutlich ansehen können, denn er erklärte
schnell: „Du bist doch nur hier, um ihn zu sehen, oder? Ich
glaube nicht, dass er sonderlich begeistert wäre, wenn er seinen
Vater hier liegen sieht.“ Behutsam setzte er Samuel auf, lehnte
ihn von außen an die Häuserwand.
Erst dann endeckten sie
das Blut. Nicht viel, es strömte aus einer kleinen Wunde an
Samuels Hinterkopf. Tizians Schlag musste heftiger gewesen sein, als
er ausgesehen hatte.
Melica hatte mit einem Mal
das dumpfe Gefühl, sie bekäme nicht genug Luft zum Atmen.
„Er… er lebt doch noch?“, krächzte sie.
„ Nicht einmal ein
Mensch lässt sich so leicht umbringen“, behauptete Zane
verächtlich, während Tizian Samuel nachdenklich beäugte.
„ Er atmet auf jeden
Fall noch“, kommentierte er dann und schenkte Melica
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