Seelensplitter - Marionette des Schicksals (German Edition)
ein
entschuldigendes Lächeln. „Ich wollte ihn nicht
verletzen.“
„ Ich weiß“,
murmelte Melica gequält. Sie nahm all ihren Mut zusammen,
schluckte. Dann rief sie mit nervöser Stimme: „Hallo? Ist
jemand zu Hause?“
Erst in dem Moment, in dem
das letzte Wort ihre Lippen verließ, wurde Melica bewusst, dass
sie einen Fehler beging. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag.
Samuel hatte ja Recht gehabt. Wenn ihre Beerdigung bereits vor einer
Woche gewesen war, hatte Jim es vielleicht schon akzeptiert, sich
damit abgefunden. Hatte sie denn das Recht, diese Wunde wieder
aufzureißen, wenn sie ihn erneut verließ? Denn dass sie
das tun müsste, was so klar wie das Amen in der Kirche. Sie
liebte Jim, hatte ihn immer geliebt, als Bruder, als besten Freund.
Sie konnte ihm nicht wehtun.
Tizian könnte
bleiben, sehen, dass Jim ein Mensch war – sie aber würde
sich verstecken.
Ihr Plan war gut, wurde
jedoch im selben Moment zunichte gemacht. Jim tauchte vor ihr in der
Tür auf. Verwundert sah er Tizian an, runzelte die Stirn bei
Zanes Anblick.
Erst dann fiel sein Blick
auf sie. Schock, Unglaube, Fassungslosigkeit und Angst waren nur ein
Bruchteil der Gefühle, die in dieser Sekunde über sein
kantiges Gesicht glitten. Einen Augenblick später kam die Freude
und verdrängte die anderen Emotionen von ihren Plätzen.
„Mel?“, hauchte er, die Stimme wie immer rau und heiser.
Und Melica konnte die
Tränen nicht länger zurückhalten. Sie brach einfach
zusammen, gefangen in einem Meer aus Tränen und Gefühlen,
die sie völlig überforderten. Erst in diesem Moment wurde
ihr klar, wie sehr sie Jim in all den Monaten doch vermisst hatte.
Sie war nicht sie selbst, wenn er nicht bei ihr war. Sie nahm kaum
wahr, dass sie in eine Umarmung gezogen wurde.
„ Ich hab’s
gewusst! Ich hab die ganze Zeit gewusst, dass du noch lebst!“
Die Worte drangen an Melicas Ohr, doch sie erreichten nicht ihr
Denken. Melica verstand sie nicht. Aber sie verstand in diesem Moment
etwas ganz anderes. Jaromir hatte sich nicht verrechnet, nicht
geirrt. Zwischen ihr und Jim hatte es schon immer etwas gegeben, eine
Verbindung, die nicht einmal sie selbst verstehen konnte.
Seelenverwandtschaft. Und doch hatten die Schattenkrieger falsch
gelegen. Es war nicht Jim, der sie verwandelt hatte. Er konnte es
nicht sein. Denn seine Haut war eiskalt.
„ Er ist ein Mensch.“
Offenbar war auch Tizian zu dieser Erkenntnis gekommen.
Jims Augenbrauen zogen
sich vor Verwirrung zusammen. Er sagte nichts dazu. Stattdessen schob
er Melica einige Zentimeter von sich, sodass er ihr direkt ins
Gesicht sehen konnte. Seine blauen Augen glänzten. „Warum
bist du blond?“, fragte er plötzlich.
Melica spürte, dass
sich ein Lächeln auf ihre Lippen legte. Von all den Fragen, die
er haben musste, von all den Dingen, die er mit Sicherheit wissen
wollte – es überraschte sie nicht im Geringsten, dass er
ausgerechnet danach fragte. So war Jim nun einmal. Anders als der
Rest der Welt. In jeglicher Hinsicht.
„ Ich habe mir die
Haare gefärbt“, antwortete sie und tat so, als wäre
dies nicht offensichtlich.
Jim nickte langsam. Dann
wanderte sein Blick zu Zane und Tizian. Im Gegensatz zu seinem Vater
schien er jedoch nicht im Geringsten beeindruckt zu sein. Selbst, als
Zane ihn böse anfunkelte, zuckte Jim mit keiner Wimper. Und
Melica erklärte ihn direkt zu ihrem persönlichen Helden.
Jim wandte sich wieder ihr
zu: „Lass uns ins Haus gehen. Ich glaube nicht, dass ich
gesehen werden will, während ich mit ‘ner Leiche rede.“
Melica nickte, sah Tizian
fragend an. „Der Sarcone und ich werden draußen warten.
Du verdienst die Zeit mit ihm. Auch, wenn er es nicht ist.“
Man musste Jim zu Gute
halten, dass er sich nicht anmerken ließ, dass er kein Wort
verstand. Aber vielleicht war es ja auch nur der Schock, der
verhinderte, dass Jim auch nur irgendein anderes Gefühl als
unbändige Freude zeigen konnte.
„ Ich glaube nicht,
dass ich dir erlaubt habe, Entscheidungen für mich zu treffen“,
blaffte Zane plötzlich und starrte Tizian vernichtend an. „Ich
werde Melica nicht allein lassen!“
„ Wissen Sie was,
Zane? So langsam gehen Sie mir mit diesem seltsamen Schutzzeugs
mächtig auf die Nerven!“, fuhr Melica ihn an. „Leben
Sie Ihren krankhaften Beschützerinstinkt an jemandem anderen
aus!“
Wäre sie nicht
bereits tot, wäre sie spätestens bei dem Blick gestorben,
den Zane ihr nun entgegenschleuderte. „Du wirst nicht mit ihm
ins Haus
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