Seelensplitter: Thriller (German Edition)
sieht unmöglich aus.«
Ein Touristenpaar betritt den Laden. Beide sehen wie hypnotisiert auf einen Wandteppich und tuscheln aufgeregt miteinander.
»Ich will Sie nicht stören«, sagt Lina.
»Oh, keineswegs, um die kümmert sich Enrique. Die meisten wollen nicht kaufen oder verkaufen, sondern in Erfahrung bringen, was die Sachen wert sind, die sie zu Hause auf dem Dachboden gefunden haben.«
Severin Carlheim zwinkert ihr zu.
»Ich mache ihnen dann gern Hoffnung. Sie wollen es ja ohnehin nicht verkaufen, sondern sind glücklich, wenn sie einen Schatz in ihrem Besitz wissen, den sie ihren Freunden vorführen können.«
»Und davon kann man leben?«, fragt Lina und deutet in eine Ecke, in der verschiedene Lampen stehen.
»Das muss ich nicht. Es macht mir einfach Spaß. Außerdem beschäftige ich mich damit, womit sich alternde Psychotherapeuten üblicherweise beschäftigen.«
»Und das wäre?«
»Ich schreibe ein Buch …«
Nach einer Pause vollendet er den Satz: »… und werde damit wohl nie fertig.«
»Also … Astrid war hier?«, kommt Lina nun unumwunden zur Sache.
Severin Carlheim nickt.
»Ja, sie ist zu mir gekommen, um meine Meinung bei einer persönlichen Frage einzuholen.«
»Stimmt es, dass es dabei auch um mich geht?«
»Ja … also, im Wesentlichen ja.«
»Und das wäre?«
»Ich kann … ich darf mich nicht dazu äußern.«
»Warum nicht?«
»Ich musste es ihr versprechen. Es tut mir leid, Lina, aber das fällt immer noch unter die Schweigepflicht.«
»Über was dürfen Sie denn überhaupt reden?«
»Sie hat mir erzählt, dass man ihr etwas anhängen will. Carolins Tod … Es tut mir so leid!«
»War Carolin Ihrer Meinung nach suizidgefährdet?«
Severin Carlheim trinkt einen Schluck Kaffee und sagt: »Darüber darf ich mit Ihnen nicht reden.«
»Nun«, sagt Lina, »ist es denkbar … ich meine, würde es Sie überraschen …«
»Astrid hat mir erzählt, dass Carolin ermordet wurde.«
»Ja«, sagt Lina. »Aber angenommen, Sie hätten von ihrem Selbstmord gehört, hätte Sie das überrascht?«
Severin Carlheim lächelt sie an. »Die Polizistin.«
Aus den Augenwinkeln meint Lina eine Gestalt vor der Eingangstür zu erkennen, die sich rasch zur Seite bewegt. Als sie sich zur Tür umdreht, ist niemand mehr dort. Gespenster, denkt Lina, man entkommt ihnen nicht, sie reisen mit.
»Nun?«
»Carolin hatte einen Selbstmordversuch hinter sich, als sie zu mir in die Behandlung kam, aber das unterliegt eigentlich auch …«
»… der Schweigepflicht, ich verstehe. Sie dürfen mir die Papiere oder Unterlagen also nicht aushändigen?«
»Nur im Falle ihres Todes«, sagt Carlheim. »Aber ich bin verlässlich, was diese Dinge angeht.«
»Sie wissen es nicht?«, fragt Lina.
»Was weiß ich nicht?«
»Auch Astrid wurde ermordet.«
Severin Carlheim springt erschrocken auf und wirft dabei seine Kaffeetasse um. Die braune Flüssigkeit läuft über ein Spitzendeckchen und tropft vom Tisch auf den Boden.
»Mein Gott«, sagt Carlheim. »Dann hat sie Recht behalten.«
»Inwiefern? Was meinen Sie?«
»Sie hat von Teufeln und Monstern gesprochen. Die würden nie Ruhe geben. Eine so junge Frau!«
»Auch Carolin wurde von Monstern verfolgt«, sagt Lina. »Das muss mit der Therapie zusammenhängen.«
»Nein, sicher nicht«, erwidert Carlheim. Er setzt sich wieder hin. Deutlich sieht Lina, dass seine Hände zittern.
»Astrid wollte sicher, dass Sie mir die Unterlagen geben.«
Severin Carlheim fährt sich mit der Hand durch seine weißen Haare. Sein Ausdruck verrät angestrengtes Nachdenken.
»Nein«, sagt er schließlich. »Astrid bat mich, das selbst zu entscheiden, falls ihr etwas passieren sollte. Das ist etwas anderes.«
»Was spricht dagegen? Ich bin in der Lage, mich meiner Vergangenheit zu stellen. Im Grunde geht das nur mich etwas an. Ich bin nicht mehr in Behandlung.«
»Es geht um eine wirklich ernste, eine sehr ernste Angelegenheit. Und es geht um neue Ungewissheiten.«
»Ein Psychotherapeut, der sich vor Ungewissheiten fürchtet«, sagt Lina wütend und springt auf.
»Lina, diese Papiere werfen noch mehr Fragen auf, noch mehr Zweifel, sie schaffen keine Klarheit. Es würde Ihnen nicht weiterhelfen, wenn Sie sie durchsehen.«
»Das will ich lieber selbst entscheiden. Und ich denke, dass auch neue Fragen mir weiterhelfen können. Es geht hier um meine Geschichte!«
»Ich möchte, dass Sie es sich bis morgen überlegen«, sagt Severin Carlheim. »In Ruhe überlegen, ob Sie sich
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