Seelensplitter: Thriller (German Edition)
nickt.
»Ja, das ist Señor Severin Carlheim. Der Tresor wurde aufgebrochen, sehen Sie?«
Er zeigt auf die Wand, an der ein Bild lehnt. Die Tür des darüber im Mauerwerk eingelassenen Tresors ist geöffnet.
»Wir gehen von einem Raubüberfall aus«, sagt der Polizist. »Der Täter überrascht Carlheim, kurz bevor der sein Geschäft schließen will, und zwingt ihn, den Tresor zu öffnen. Dann geht irgendetwas schief. Wissen Sie, was in dem Tresor war?«
»Woher sollte ich das wissen?«
»Nun ja, Sie haben ihm Ihre Hoteladresse aufgeschrieben, und Enrique sagt, dass Sie eine Bekannte aus Deutschland sind.«
Er zeigt hinaus auf einen Polizeiwagen, in dem Carlheims Mitarbeiter Enrique wie ein Häufchen Elend sitzt, seine Arme um die angezogenen Knie geschlungen.
»Er war mein Psychotherapeut. Er hat früher in Deutschland praktiziert. In Hamburg.«
»Sie wissen nicht, was sich in dem Tresor befunden haben könnte? Schmuckstücke? Blattgold? So etwas?«
Verflucht, die Unterlagen aus dem Jugendamt!, denkt Lina. Wer wusste, dass sie nach Oviedo geflogen ist, um Carlheim aufzusuchen? Niemand, außer Che.
Che?
»Nun?«, sagt der Polizist.
»Ich wusste ja noch nicht einmal, dass es hier überhaupt einen Tresor gibt.«
»Es tut mir leid, dass wir Sie mitten in der Nacht aus dem Bett geholt haben, aber wir müssen natürlich allen Spuren sofort nachgehen.«
»Ich verstehe«, sagt Lina. »Ich bin selbst Polizistin.«
Der Polizist zieht seine Augenbrauen in die Höhe und sagt: »Ach so?«
»Bei der Streifenpolizei, in Uniform, Sie verstehen?«
»Und Ihnen ist wirklich nichts aufgefallen? Hat er sich vielleicht bedroht gefühlt, hatte er Ärger, irgendetwas, das uns weiterhelfen könnte?«
Lina schüttelt energisch den Kopf, während sie fieberhaft überlegt, wem gegenüber sie die Reise noch erwähnt haben könnte. Ein Mann im Overall tritt auf sie zu und hält einen schweren Kerzenständer in die Höhe. Er zeigt auf den Sockel und sagt leise etwas zu dem spanisch-rheinländischen Kollegen. Der zieht eine Brille hervor und besieht sich die Stelle genauer. »El asesinato de armas«, sagt er und wendet sich Lina wieder zu. »Wie lange sind Sie noch in Oviedo?«
»Ich wollte morgen zurückfliegen.«
»Könnten Sie einen Tag länger bleiben? Vielleicht haben wir noch Fragen.«
Er notiert sich Linas Adresse in Hamburg und bittet dann einen uniformierten Kollegen, sie zurück ins Hotel zu bringen.
Linas Knie und Hände zittern, ihr Herz rast, und sie glaubt, keine Luft mehr zu bekommen. Mit letzter Kraft schafft sie es in ihr Zimmer, nachdem sie Minuten gebraucht hat, um die Chipkarte durch den Schlitz an der Tür zu ziehen. Sie pflückt ein Fläschchen Wodka aus der Minibar und trinkt es in einem Zug leer.
Was ist mit ihrer Vergangenheit, dass ihretwegen immer mehr Menschen umgebracht werden? Sie hat das Flugticket online gebucht. Sollte jemand ihren PC mit einem Trojaner verseucht haben? Wer auch immer dahintersteckt, er muss sie beobachtet haben. Was jetzt? Was soll sie mit dem erneut gerissenen Faden anfangen?
Sie nimmt noch ein Fläschchen aus der Minibar, diesmal Brandy, und trinkt es aus, ohne abzusetzen. Sie spürt die Wirkung sofort.
Das geht so nicht, sagt sie sich, du musst jetzt klar bleiben. Was hindert den Täter eigentlich daran, sie aufzusuchen? Es müsste doch einfacher sein, gleich sie umzubringen. Nur – warum?
Lina legt sich angekleidet aufs Bett und fällt in einen Dämmerschlaf, aus dem sie immer wieder hochschreckt. Sie träumt davon, dass sie in einem abstürzenden Flugzeug sitzt, dessen Dach abgerissen ist und das durch die Straßenschlucht einer Großstadt rast. Dann sieht sie in die schreckgeweiteten Augen eines Mädchens, das ein mit Kerosin durchtränktes T-Shirt trägt. In den Händen hält es eine Barbiepuppe, die genauso aussieht wie Linas Puppe, die sie damals für Ralf verkauft und später zurückgekauft hatte. Dann sitzt sie plötzlich in einer Hecke fest und reißt sich beim Versuch hindurchzukriechen überall die Haut auf. Vor ihr steht ein mumienähnliches Wesen, das bis auf die Augen über und über mit einer Creme bedeckt ist und ihr zuwinkt.
Heftiges Klopfen an der Tür reißt Lina aus ihren verworrenen Träumen. Schweißgebadet tastet sie nach ihrer Armbanduhr. Kurz vor neun. Die Kollegen von der spanischen Polizei sind früh dran.
Sie schält sich aus dem Bett, schiebt den Stuhl, dessen Lehne sie unter die Klinke geklemmt hat, beiseite und öffnet die Tür.
Sie
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