Seelensplitter: Thriller (German Edition)
darf.«
»Unsinn.«
»Das mit dem Geschäft stimmt.«
»Bist du absolut sicher?«
»Es befindet sich in der Calle de San Vicente.«
»Vielleicht hat Astrid ja die Unterlagen über mich dort versteckt.«
»Nicht nur das«, sagt Che. »Vielleicht hat sie ihn sogar gebeten, einen Blick darauf zu werfen. Wäre ja nicht auszuschließen.«
»Aber warum? Wieso waren ihr Unterlagen wichtig, die meine Kindheit betreffen? Was steht darin, verdammt?«, ruft Lina aufgebracht, verschluckt sich und hustet die Krümel aus der Luftröhre. Die Thailänderin eilt herbei und reicht ihr eine Serviette. Mit einer dankbaren Geste bedeutet Lina ihr, dass alles in Ordnung ist.
»Keine Ahnung«, sagt Che Ling. »Aber ganz bestimmt wollte sie mit den Unterlagen ihre Unschuld am Tod von Carolin beweisen. Deine Vergangenheit muss da irgendeine Rolle spielen.«
»Was ist mit Paul Ender?«
»Bleibt spurlos verschwunden. Auch sein langjähriger Geschäftspartner und früherer Freund hat nicht die geringste Ahnung, wo er sich aufhalten könnte.«
»Keine Familie, keine Facebook-Einträge, keine laufenden Versicherungen?«
»Wie sollte ich an Versicherungsdaten kommen?«, fragt Che. »Nein, nichts, sein Facebook-Account ruht, er wurde seit Wochen nicht genutzt.«
»Da verschwindet jemand, und kein Mensch, wirklich niemand, fragt mal nach?«
27
L ina hat einen Fensterplatz im Flieger bekommen. Sie stöpselt sich die Kopfhörer ihres Handys ins Ohr, schaltet es auf Flugmodus und hört Mumford & Sons, »Roll away your stone«.
Wie passend. Den Stein wegrollen. Ein guter Tipp, wenn man sich im Gebirge verirrt hat. Verirrt zwischen all den Erinnerungstrümmern, in der Dunkelheit, umgeben von tiefen dunklen Felsspalten.
Während der Therapie hatte sie lediglich ein paar Anhöhen geschafft, von wo aus sie nichts anderes sah als neue Berggipfel, die wiederum die Sicht versperrten. Aber mit ihnen wuchs die Hoffnung, von ganz oben irgendwann einen unverstellten Blick zu haben. Wenn sie den Aufstieg schaffte.
Lina überlässt sich wieder ihren Erinnerungen an die Gruppentherapie.
Pia war nach Astrids perfider Provokation, die Lehrerin könnte ein sexuelles Interesse an den Kindern haben, zuerst vollkommen durchgedreht. Irgendwann später hatte sie eingeräumt, einige ihrer Schülerinnen attraktiv zu finden. Astrid hatte nicht lockergelassen und sie nach ihren sexuellen Vorlieben gefragt. Ob sie sich schon mal vorgestellt hätte, wie es wäre, wenn eines der Mädchen sie verführte. Irgendwann hatte sie zugegeben, schon daran gedacht zu haben.
»Aber das ist doch nur Fantasie!«
Sie hatte Severin Carlheim hilfesuchend angesehen, doch da der nicht reagierte, war sie aus dem Zimmer gestürmt. Beim nächsten Termin saß sie wieder auf ihrem Stuhl und verlor kein weiteres Wort über diesen Vorfall. Auch Astrid sprach sie nie wieder darauf an.
Dass es auch pädophile Frauen gibt, weiß Lina. Sie hatte es zunächst nicht glauben wollen, als sie in der Polizeischule zum ersten Mal davon hörte. Frauen etwa, die ihre Söhne zu Ersatzehemännern machen. Mit allen ehelichen Pflichten. Meistens gehe es um Macht, um Dominanz, hatte es in der Schule geheißen.
Isabel führte in der dritten Therapiesitzung ein Thema ein, das bisher weitgehend ausgespart worden war: Beziehungsprobleme.
Isabel litt neben Halluzinationen unter einem narzisstischen Beziehungsmuster, dem sie immer wieder verfiel. Die Beziehungen, die sie hinter sich hätte, seien im totalen Chaos geendet. Und das sei zweifellos ihre Schuld gewesen.
»Wenn ich mich verliebe, dann voll und ganz. Bis zur Selbstaufgabe. Ich mache alles, was für ihn schön, attraktiv, großartig ist, und tue nichts anderes mehr. Lebe für die vollkommene Einheit.«
»Aber das muss doch nichts Schlechtes sein«, sagte Carolin. »Klingt nach perfekter Liebe.«
»Ist aber der perfekte Mist. Ich bekomme Angst«, erwiderte Isabel. »Das geht alles eine Zeit lang gut, und dann habe ich das Gefühl, verschlungen zu werden. Ich verliere mich vollkommen.«
Severin Carlheim hörte aufmerksam zu, und als er merkte, dass Lina ihn ansah, machte er sich pflichtbewusst ein paar Notizen.
»Zuerst will ich dasselbe fühlen und erleben wie er. Ich sehe ihn an und sehe dabei mich selbst. Und ich bin schön, attraktiv und strahlend. Ich fang dann aber bald an zu klammern und werde zu einem verängstigten kleinen Mädchen. Ich weiß, das hört sich blöd an, aber ich mache mich klein und sage: Bitte, bitte liebe mich. Ich
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