Seelensplitter: Thriller (German Edition)
einstreichen wird. Sie zählt dem Jungen die Scheine in die Hand und sagt: »Gracias.«
Der Junge setzt sich wieder vor den Computer, holt die CD heraus und tippt ein paar Tasten an. »Keyword«, sagt er dann und deutet auf eine Buchstabenfolge am unteren Seitenrand.
Die Buchstaben blinken auf, und Lina muss ganz nah an den Bildschirm herangehen. Sie liest: »Sven_Emmert«.
33
S ven Emmert. Ein Landgasthof an der Elbe. Lina sieht selbst nach so langer Zeit immer noch die weißen Tischdecken vor sich.
Es roch nach altem Holz, Kirschen und Heu. Vor ihr standen zwei Rotweingläser, eines davon voll. Etwas Besonderes hatte sich Sven Emmert zu ihrem Geburtstag gewünscht. So lief das mit ihm: Sie hatte Geburtstag, und er wünschte sich etwas. Sie hatte also einen Tisch reserviert, um eine Geburtstagsdekoration gebeten und mit dem Küchenchef das Menü besprochen. Alles perfekt. Blick auf einen Seitenarm der Elbe, blühende Obstbäume, Landidylle pur. Verliebte Paare an den Nebentischen, Vivaldi als Hintergrundmusik und Rosenblätter auf der weißen Tischdecke.
Nach zweieinhalbstündigem Warten, einer Flasche Rotwein und drei Cognacs war sie schließlich gegangen. Er hatte weder angerufen noch eine SMS geschickt. Sie war ohne Umwege auf die Reeperbahn gefahren und hatte im »Silbersack« ein paar Runden geschmissen. Für ein paar an der Bar sitzende Trinker, ein verliebtes Pärchen und eine sehr junge Frau, die ihren Rucksack neben die Musikbox gestellt hatte und hier wohl aus Kostengründen die Nacht verbringen wollte.
Als Sven am nächsten Tag anrief, hatte sie ihn gefragt, was denn los gewesen sei.
»Probleme zu Hause, du verstehst?«, sagte er beiläufig. Das war alles.
Nein, sie verstand nicht!
»Fang jetzt bloß nicht an herumzuzicken. Es geht eben nicht immer alles nach deiner Nase.«
Drei Tage zuvor wollte er noch mit seiner Frau reden und ihr mitteilen, dass er sie verlassen würde. Zwei Wochen lang hatte sie jedes Treffen abgelehnt. Hatte bei seinem Auftauchen jedes Mal den Unterrichtsraum in der Eutiner Polizeischule verlassen.
Und dann tauchte er plötzlich wieder bei ihr auf. Mit Blumen und Kinokarten und Unschuldsmiene.
»In Wirklichkeit gehören wir doch zusammen, Lina. Wir kommen nie mehr voneinander los.«
Genauso wenig, wie sie von Ralf losgekommen war. Trotz seines Todes. Ralf und Sven. Gibt es da einen Zusammenhang? Ist sie eine Wiederholungstäterin, die sich mit Sven eingelassen hatte, um sich selbst zu bestrafen? War das am Ende Ralfs Rache?
34
S ie ist in Hamburg gelandet und passiert die Zollbeamten, die heute zu zehnt vor der Schranke zur Ankunftshalle stehen. Die Türen schwingen auf, und Lina rollt ihren Koffer in das Terminal. Che Ling sitzt im Wartebereich und tippt etwas in sein Handy. Müde sieht er aus und ungewöhnlich blass. Im Grunde versteht sie es nicht, dass da jemand ist, auf den sie sich aus einem unerfindlichen Grund verlassen kann. Jemand, der ihr nicht an die Wäsche will und sich trotzdem ernsthafte Sorgen um sie macht. Als er Lina sieht, schenkt er ihr ein freundliches chinesisches Lächeln und steckt sein Handy weg.
»Jetzt verrätst du mir hoffentlich, warum ich dich hier abholen soll.«
»Ich sehe dein Gesicht so gern.«
»Und wie wär’s mit einem Foto? Irgendwo in der Abflughalle habe ich einen Fotoautomaten gesehen.«
»Nein, danke«, sagt Lina. »Es ist nur … Ich war mir nicht sicher, ob ich hier eventuell von Sven abgefangen werde.«
»Und du glaubst, ich könnte das verhindern? Hältst du mich für den schlitzäugigen Batman?«
Lina sieht sich die Ausrichtung der Überwachungskameras an und schiebt Che in eine Ecke, die nicht eingesehen werden kann. Sie zieht die CD aus ihrer Jacke hervor und steckt sie ihm zu, während sie die Sicht mit ihrem Rücken versperrt.
»Die Unterlagen?«
»Ein Film. Wir müssen ihn uns unbedingt genauer ansehen. Ich muss wissen, was das für Männer sind.«
»Männer?«
»Selbst produzierte Heimpornos. Mit Astrid als Hauptdarstellerin und jeder Menge Komparsen.«
»Riecht nach Erpressung, und damit will ich bitte schön ü-b-e-r-h-a-u-p-t nichts zu tun haben.«
»Hast du einen Computer?«, fragt Lina.
»Sicher.«
»Auch ein Programm, mit dem man einzelne Bilder und Szenen heranzoomen kann?«
»Das funktioniert mit einem Videobearbeitungsprogramm. So was kann man sich kostenlos runterladen.«
»Du hast übrigens Recht.«
»Womit?«
»Wahrscheinlich leide ich unter Verfolgungswahn. Allerdings wenn nicht,
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