Seelensplitter: Thriller (German Edition)
erpresst? Ihm angedroht, die Affäre seiner Frau zu offenbaren? Doch das passt nicht zu Sven, der braucht keinen Mord, um sich ein derartiges Problem vom Hals zu schaffen. Er bevorzugt andere Mittel und Wege. Wenn es jedoch um etwas ganz anderes gehen sollte …
Fest steht, dass Sven gelogen hat, zumindest verschwiegen, dass er Astrid kannte. Und nicht nur das, er war auch in der Wohnung gewesen, bevor man Carolins Leiche dort gefunden hatte. War es möglich, dass er die an Lina adressierte Nachricht auf die Rückseite des Fotos geschrieben hat?
»Lina, du willst doch nicht allen Ernstes gegen die Mordkommission antreten?«, sagt Che. Sein ängstlicher Gesichtsausdruck ist kein bisschen gespielt.
»Bevor man mir einen Mord anhängt, trete ich gegen jeden an! Könnte der Film eine Fälschung sein?«, fragt Lina.
»Unwahrscheinlich. Dazu müsste man den Oberkörper von deinem Sven extra und passgenau gefilmt und hier reingeschnitten haben. Wenn überhaupt, macht man das mit Gesichtern von Fotos. Außerdem, ein Foto zu manipulieren ist eine Sache, aber einen Videofilm … Das halte ich für unwahrscheinlich.«
Che öffnet eine Flasche Rotwein, hält sich selbst aber weiter an den grünen Tee. Dann stoppt er den Film und sieht sich die Dateieigenschaften an.
»Viel zu kurz«, sagt er und öffnet einen Ordner, in dem normalerweise die Metadaten des Films stehen. Aufnahmezeit, Titel, Name des Urhebers, Suchstichworte …
»Da haben wir dich ja«, murmelt er und öffnet eine Bilddatei. Lina steht neben ihm und starrt auf den Bildschirm.
»Abfotografierte Akten! Langsam wird das hier zu einem Spionagethriller«, sagt er und öffnet eine weitere Bilddatei, die vier Behördennotizen mit dem Vermerk »Nur zur internen Verwendung« enthält. Alle Einträge verweisen auf Ermittlungsakten der Polizei.
»Nicht zu fassen. Da geht es um Ralfs Tod«, sagt Lina.
In wenigen Sätzen informiert sie Che, was damals passierte, und auch, dass sie jahrelang geglaubt hat, Ralf getötet zu haben.
Erörtert wird in den Notizen, ob Linas Pflegeeltern ihren Aufgaben gerecht werden können oder ob das Pflegekind woanders untergebracht werden sollte. Den Unterlagen zufolge haben die polizeilichen Untersuchungen ergeben, dass der Junge wahrscheinlich kein Opfer eines Unfalls war, sondern Fremdverschulden nicht ausgeschlossen werden konnte.
Lina liest die entscheidende Passage laut vor: »… hat Ralf Andersen die elektrische Vorrichtung an der Tür nicht aktivieren können. Dazu müsste er das Kabel mit der Türklinke verbunden und aktiviert haben, um anschließend durch das Fenster in den Schuppen gelangt zu sein. Polizeiliche Messungen haben ergeben, dass das Fenster des Schuppens zu klein dafür ist.«
Lina macht eine Pause und sagt: »Mein Vater hat mir etwas ganz anderes erzählt.«
Dann liest sie weiter: »Das Pflegekind Lina Andersen muss nach den Untersuchungen als Tatverdächtige ebenfalls ausgeschlossen werden, da sie während der fraglichen Zeit bei einer Freundin gespielt hat, und zwar in Gegenwart von Zeugen.«
»Fremdverschulden«, sagt Che. »Jemand hat diesen Ralf umgebracht und sich aus dem Staub gemacht.«
»Und warum hat mein Vater kein Wort davon gesagt?«
»Vielleicht weil er’s nicht weiß. Man wird ihn vernommen haben, aber da man sich keinen Tatverdächtigen schnitzen konnte, hat man die Angelegenheit auf sich beruhen lassen.«
»Ich bin davon ausgegangen, dass Ralf mir eine Falle stellen wollte, aber wenn er gar nicht durchs Fenster klettern konnte …«
»… dann muss jemand anders das saubere Kerlchen zur Strecke gebracht haben«, ergänzt Che ihren Satz.
»Wenn ich es nicht war, wer soll ihn denn dann umgebracht haben? Und warum kommt das jetzt plötzlich wieder hoch?«
»Keine Ahnung«, sagt Che.
»Gibt’s noch mehr? Ich meine Daten, Ordner …«
»Nein, das war’s. Möglicherweise war in Carlheims Tresor ja noch mehr Material.«
Lina verabschiedet sich von Che und sagt: »Das werde ich dir nie vergessen, dafür hast du was gut bei mir!«
Sie fährt den Fahrstuhl gemeinsam mit einer rüstigen Siebzigjährigen hinunter, die sie neugierig mustert.
Am Hauptbahnhof bemerkt Lina ein paar auffällig blasse Jungen, die in kleinen Gruppen vor dem Eingang stehen und versuchen, die Blicke der Männer auf sich zu lenken, die aus dem Bahnhofsgebäude kommen. Einer von ihnen verhandelt mit einem älteren Mann in Jeansjacke.
Sie fährt die Rolltreppe abwärts zur U-Bahn-Station. Am Bahnsteig herrscht
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