Seelensplitter: Thriller (German Edition)
jetzt irgendwo untertauchen, mich verstecken.«
»Ja, das wird im Moment das Beste sein«, sagt Lina und schreibt ihm ihre drei Handynummern auf.
32
D as Gebäude der Guardia Civil ist ein schmuckloser Bau mit heller Fassade. Trotz der vielen Fenster, vor denen Rollmarkisen heruntergelassen sind, wirkt das Gebäude verlassen.
Kommissar Gonzales, der Lina mittags in ihrem Hotelzimmer abgeholt hat, erklärt ihr auf Deutsch, dass zwar die Policia Nacional für den Mordfall zuständig sei, dass man ihre Zeugenaussage jedoch bei der Guardia aufnehmen werde.
Lina gibt wahrheitsgemäß zu Protokoll, dass sie Señor Severin besucht habe, um ihm Fragen in einer persönlichen Angelegenheit zu stellen.
Um was für Fragen es gegangen sei, will der Polizist wissen.
»Ich habe große Schwierigkeiten, mich an meine Kindheit zu erinnern«, sagt sie. Wieder die Wahrheit. Kommissar Gonzales jedoch runzelt die Stirn.
Lina sagt, dass sie keine besondere Veränderung an Carlheim bemerkt habe. Auch in dem Geschäft sei ihr niemand aufgefallen. Sie habe nicht die leiseste Ahnung, wer einen nicht sonderlich vermögenden Antiquitätenhändler und Psychotherapeuten überfallen und brutal erschlagen würde. Ja, sie sei zur Tatzeit im Hotelzimmer gewesen, der Portier könne sicher bestätigen, wann sie auf ihr Zimmer gegangen sei.
»Ich hörte, Sie sind vom Dienst beurlaubt?«, fragt der spanische Kommissar unvermittelt.
Also hat er bereits mit Sven korrespondiert, denkt Lina, natürlich!
»Es geht um Schusswaffengebrauch, der bei uns routinemäßig untersucht wird.«
»Und da wird man in Deutschland beurlaubt? Haben Sie jemanden erschossen?« Der Kommissar kneift die Augen zusammen.
»Es war eine heikle Situation, ich wurde bedroht und habe an die Decke geschossen.«
Schon wieder die Wahrheit. Jedenfalls fast.
Der Kommissar nickt und teilt ihr dann mit, dass eine Abschrift der Tonaufzeichnung gemacht werde. Als sie die Kommandantur verlässt, lässt das Brennen in ihrer Jacke nach, die im Innenfutter versteckte CD scheint leichter zu werden. Auf keinen Fall wird sie die CD im Hotelzimmer liegen lassen. Sie muss sie unter allen Umständen behalten und ansehen, denn es ist jetzt das Einzige, was sie in der Hand hat.
Lina spaziert durch Oviedo. Vor den Auslagen der Geschäfte bleibt sie immer wieder stehen, um sicherzugehen, dass ihr niemand folgt. Einmal geht sie in ein Kaufhaus und verschwindet für eine knappe Viertelstunde auf der Kundentoilette. Als sie herauskommt, sieht sie lediglich herumstehende Verkäufer und zwei stöbernde Kundinnen. Niemand folgt ihr, als sie die Rolltreppe abwärtsfährt und das Kaufhaus wieder verlässt. Sie geht nun zielstrebig zu dem Internetcafé, das sie bei ihrem ersten Stadtbummel entdeckt hatte. An der Kasse sitzt ein etwa dreißigjähriger Mann, seinem Aussehen nach vermutlich maghrebinischer Herkunft. Sie zeigt ihm die CD und versucht zu erklären, dass sie verschlüsselt ist. Er lächelt sie an, versteht sie jedoch nicht. Lina geht an seine Computertastatur, sieht ihn fragend an, und er nickt freundlich. Daraufhin ruft sie den Übersetzungsservice von Google auf. Wegen der spanischen Tastatur braucht sie einen Moment länger, um das Wort »verschlüsselt« einzugeben. Sie drückt Enter, und der spanische Begriff »codificado« erscheint.
Der Mann sieht sie erschrocken an und wedelt dann abwehrend mit den Händen. »No, no«, sagt er, und Lina sieht ihm deutlich an, dass er die CD nicht einmal anfassen würde.
Lina tippt eine »300« in den Computer und setzt ein Eurozeichen dahinter. Der Mann bleibt skeptisch, obwohl er jetzt nicht mehr so energisch wirkt.
Lina setzt sich an einen der freien Plätze und öffnet ihre E-Mails. Neben dem üblichen Werbemüll und den Spams findet sie eine Nachricht von Che Ling.
»Kommst du weiter?«, fragt er darin knapp.
»Severin Carlheim ermordet«, antwortet sie ebenso knapp. Kein Wort über Paul Ender, erst recht nichts über den Datenträger. Sie legt die CD ein. Auf dem Bildschirm erscheint die Aufforderung, das Passwort einzugeben. Sie probiert es mit »Lina«, »Lina-Andersen«, dann mit ihrem Geburtsdatum, dem Namen des Therapeuten, den Vornamen der Gruppenteilnehmerinnen. Doch alle Versuche bleiben ohne Erfolg.
Plötzlich steht ein Junge im Teenageralter neben ihr und blickt ungeniert auf den Monitor.
»Willst du es versuchen?«, fragt Lina ihn.
Der Junge ruft ein leeres Textdokument auf und schreibt »500 Euro« hinein.
Lina versucht es
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