Seelensplitter - Unsterblich wider Willen (German Edition)
und dessen blaugrüne Augen ihren Blick mit einer Intensität erwiderten, dass es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief.
Seans Gesicht war faltig und wettergegerbt. Er war nicht viel größer als sie selbst und doch strahlte er eine solche Kraft aus, die sie selbst bei ihrem Vater noch nicht gesehen hatte.
„Hallo“, knurrte sie zögerlich, nachdem ihr Frank einen auffordernden Blick zugeworfen hatte.
Sean nickte nur kühl und in dem Moment, in dem sie den Ausdruck in seinen Augen sah, wusste sie, dass sie etwas gemeinsam hatten: Sie konnten sich auf den ersten Blick nicht ausstehen.
„Wo ist deine Älteste, Sohn?“
„Olivia ist zu Hause geblieben. Sie hat so kurzfristig keinen Urlaub bekommen.“
„Natürlich“, schnaubte Sean ungläubig. Er musterte Paula nachdenklich. „Du bist Paula?“
Es klang mehr nach einer Feststellung als nach einer Frage, aber Paula nickte trotzdem. „Ich habe die Kleine noch nie gesehen. Dabei ist sie jetzt schon…wie alt?“
„Sie ist 10“, erwiderte Frank nervös. „Und wenn du nicht so deutlich gemacht hättest, dass du keinen Besuch magst, wären wir auch schon früher-“
„Unsinn! Euer Wegbleiben lag einzig und allein an deiner Unfähigkeit. Dein Bruder war immer ein guter Sohn. Du nicht. Wenn ich mir deine Tochter hier ansehe, bist du ein noch schlechterer Vater.“
„Aber Va-“
„Was aber, Frank? Willst du es etwa abstreiten? Du hast mich vergessen! Hätte Stefan Kinder gehabt – er hätte mich besucht. Da kannst du dir sicher sein!“
Ungläubig beobachtete Melica, wie Frank unter dem kalten Blick seines Vaters immer kleiner zu werden schien. Himmel – und da hatte sie gedacht, sie hätte schreckliche Eltern. Mitleid begann sich in ihrem Körper auszubreiten und sie schenkte Frank ein aufmunterndes Lächeln.
Dieser schien es jedoch nicht einmal zu bemerken. „Ich weiß nicht, was Stefan getan hätte, Vater, aber ich-“
„Dein Bruder hätte sich geschämt, wenn er so mit mir umgegangen wäre.“
„Aber ich-“
„Stefans Kinder wären auch nie verzogen gewesen. Er wäre ein guter Vater.“
„Vater!“, bellte Frank wütend. „Stefan ist tot! Ich werde ihn nie ersetzen können und weißt du was? Ich möchte es auch gar nicht!“
Sean rümpfte verächtlich die Nase. „Du bist genau wie deine Mutter. Schwach und verzogen.“
Mit einem leisen Seufzen schloss Frank die Augen. Als er sie wieder öffnete, lag ein Ausdruck von Verbitterung in ihnen. Er drehte Sean den Rücken zu und musterte seine Familie ernst. „Wollen wir ins Haus gehen? Diese Unterhaltung führt zu nichts.“
„Was erlaubst du dir eigentlich? Du hast kein Recht, dich so aufzuführen!“
Seans Miene schien schlagartig noch finsterer zu werden, als Frank schweigend an ihm vorbeiging, nach Melicas Koffer griff und auf eine große, dunkle Tür zusteuerte.
Nach einem kurzen Augenblick der Überraschung stolzierte Jane ihm nach, dicht gefolgt von Paula und einer mehr als nur fassungslosen Melica.
„Frank! Es ist immer noch mein Haus!“
„Du wolltest doch Besuch von deinen Enkelinnen! Bitte! Jetzt hast du die perfekte Gelegenheit, die beiden kennenzulernen“, Frank sprach, ohne auch nur ein wenig langsamer zu werden.
Melica spürte plötzlich so etwas wie Stolz. Wer hätte gedacht, dass er tatsächlich den Mut hatte, etwas gegen den verrückten Killerzwerg dort hinten zu sagen?
„Treib‘ es ja nicht zu weit!“
„Es tut mir leid, Vater“, murmelte Frank so leise, dass sich Melica sicher war, dass niemand außer ihr seine Worte gehört hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben begann sie zu verstehen, warum ihr Vater zu dem geworden war, was er nun einmal war. Und alles, was sie fühlte, war Mitleid.
„Du bist undankbar. Du schleppst mir deine Tochter ins Haus. Du verlangst, dass ich mich um sie kümmere. Und was bekomme ich? Nicht einmal ein Dankeschön! Kein Wunder, dass Melica derartig verzogen ist! Bei einer Memme wie dir als Vater… Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt sprechen kann! Sie kann doch sprechen?“
Frank blieb mitten in der Tür stehen und ballte die Hände zu Fäusten. „Vielleicht war es doch ein Fehler hierherzukommen.“
„Fehler?“ Sean ließ ein brüchiges, seltsam verkrampftes Lachen hören. „Aber nicht doch! Tretet ein. Fühlt euch ganz wie zu Hause. Mit mir altem Mann kann man es ja machen!“
~*~
Beinahe andächtig ließ Melica ihren Blick durch das Zimmer schweifen, in dem sie einen Teil ihres zukünftigen Lebens
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