Seelensturm
immer nicht gemacht war. Überall lagen Alegras Kleidungsstücke unordentlich auf dem Boden verteilt. Gleich links neben der Tür befand sich ein weiterer Raum, den die Geliebte meines Onkels als begehbaren Kleiderschrank für sich alleine nutzte. Dort lagerten ihre Schätze. Louis Vuitton, Gucci, Chanel, die teuersten Luxusmarken der Welt wohnten in dem Kleiderschrank, den sich Alegra in kürzester Zeit angelegt hatte. Sie war schon immer stolz auf ihre Manolo-Blahnik-Sammlung gewesen, doch jetzt konnte ich nicht glauben, was ich sah. Alle Absätze der teuren High Heels lagen abgesägt und verstreut im ganzen Schlafzimmer auf dem Boden. Die teuren Kleidungsstücke hatte jemand achtlos und durcheinander aus dem Schrank geworfen. Alle Puderdöschen und Parfumfläschchen, die Alegra fein säuberlich auf ihrem Kosmetiktisch aufbewahrt hatte, waren vom Tisch gefegt worden und lagen nun zerbrochen ebenfalls auf dem Boden. Nur wenige Fläschchen hatten Amys Wutattacke überlebt und lagen auf dem kleinen Teppichvorleger. Auf dem Spiegel stand mit knallrotem Lippenstift „Hexe“ geschrieben.
»Oh, mein Gott! Amy, was hast du nur getan?«
Es sah schlimm aus. Onkel Finley hatte von Amys Zerstörungswut bestimmt noch nichts bemerkt. Und das war auch gut so. Da Agnes sich schon lange weigerte, für Alegra auch nur irgendetwas als nur das Nötigste aufzuräumen, konnte ich auch darauf nicht hoffen, dass sie uns helfen würde, diese Sauerei wieder in Ordnung zu bringen.
»Versteh doch, Jade, sie will uns fertigmachen. Am Ende wird uns Onkel Finley fortschicken. Das ist es doch, was sie will«, versuchte sie sich zu verteidigen.
Es wurde Zeit, dass ich Amy die Augen öffnete. Ich sah sie ernst an. Das Herz wurde mir schwer, denn jetzt müsste ich ihr klarmachen, dass sie wirklich in Lebensgefahr war.
Ich legte meine Hände auf ihre Schultern, damit sie mich ansehen musste.
»Alles, was Onkel Finley dir gesagt hat, ist wahr, Amy. Ich selbst habe einen dieser Männer, die dich töten wollen, gesehen. Jetzt überleg doch mal, warum Onkel Finley so übervorsichtig mit uns ist? Denk nach, Amy! Das alles, unser Leben, die Überwachung, der übertriebene Beschützerinstinkt und auch unsere Verbindung, ist das nicht Beweis genug für dich? Schon seit einiger Zeit habe ich gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist und erst gestern habe ich zwei dieser Typen gesehen. Ich habe sogar mit einem gesprochen.«
Schweigend blickte sie mich an. Sie brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass sie Alegra Unrecht getan hatte. Doch so plötzlich wie sie begriff, wandelten sich auch ihre Gefühle. Tränen füllten ihre Augen und neue Wut stieg in ihr auf.
»Das glaub ich einfach nicht! Nein, nein! Das gibt es doch nicht! Das könnt ihr nicht mit mir machen. Nein! Lass mich!« Ich wollte meine Schwester gerade in die Arme nehmen, sie trösten, ihr Mut machen, ihr sagen, dass ich sie beschützen würde, dass sie sich auf mich verlassen konnte, ich wollte ihr einfach sagen, dass ich für sie da war und dass ich alles in meiner Macht Stehende tun würde, damit ihr niemand wehtat. Da riss sie sich wutentbrannt von mir los und rannte weinend aus dem Zimmer.
Kapitel 11
Laut knallte eine Tür unten zu, dessen Echo ich gut verstand. Noch bevor ich am Treppengeländer war und Amy hinterher stürmen konnte, hörte ich Stimmen, die sie riefen. Sie würde nicht reagieren, das tat sie nie, wenn sie wütend war. Wahrscheinlich hatte sie die Rufe noch nicht einmal wahrgenommen. Sie war sauer, durcheinander und sie hatte Angst. Ich konnte ihr gut nachempfinden. Die Wahrheit war schwer zu schlucken. Besonders für sie. Ihr Leben wurde komplett aus dem Rahmen gerissen, das stets wohl behütet und glücklich gewesen war. Schlimmer noch, jetzt war sie Opfer und Gejagte. Ihr Schicksal war so ungewiss. Hinzu kam, dass sich ihr Wesen so schwierig in diese neue Situation integrieren ließ. Eine Menge rebellischer Egoismus und eine große Portion Unvernunft gehörten zu Amy wie das Schwert zu seinem Krieger.
Statt zu überlegen, was nun das Richtige für sie wäre, reagierte sie wie so oft mit Abhauen. Sorgen brauchte ich mir aber nicht zu machen. Meistens benötigte sie Zeit, um sich dann reumütig auf Kompromisse einlassen zu können. Hoffentlich war es diesmal genauso! Die Regel, auf dem Grundstück zu bleiben, hatte Onkel Finley uns schon von klein auf beigebracht. Schließlich war der parkähnliche Garten groß genug, um darin in Ruhe und alleine seinen
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