Seelensunde
fiel jetzt nicht ins Gewicht. Sie gehörte ihm. Und er würde nicht zulassen, dass sie sich einfach so davonmachte, ohne ihn anzuhören.
Nur, was sollte er ihr sagen? Dass sie mit jedem Wort recht hatte? Dass er wirklich das opportunistische Arschloch war, für das sie ihn hielt?
„Nicht so schnell, mein Kätzchen.“ Er gab sich Mühe, in ruhigem Ton zu sprechen, obwohl er sie am liebsten angeschrien hätte, ob er nun ein Recht dazu hatte oder nicht. „Ich sagte schon, dass ich hier nicht ohne dich weggehe. Und das meine ich nach wie vor ernst.“
Er ließ sie nicht los und hielt sie zur Sicherheit auch noch an dem Stoffstreifen zurück, der um ihren Bauch geknotet war.
„Ich könnte sie von dir befreien“, ließ sich Izanami vernehmen.
„Versuch es nur.“
Naphré ließ Alastor unnachgiebig ihre Abneigung spüren und blieb, da sie ihm schon nicht entkommen konnte, stocksteif stehen, während er sie weiter festhielt.
Er beugte sich zu ihr und flüsterte dicht an ihrem Ohr: „Du kannst mich hassen, in die Wüste schicken oder sonst etwas mit mir anstellen. Aber erst einmal werde ich dich hier herausbringen, kapiert?“
Naphré wehrte sich nicht mehr gegen ihn. Was hatte sie auch sonst für Möglichkeiten? Von den ihr gegenwärtig drohenden Übeln war er noch das Geringste.
Alastor für seinen Teil wunderte sich darüber, dass Izanami nicht eingriff und sich nicht einfach Naphrés Seele bemächtigte. Andererseits befanden sie sich auf ihrem Terrain. Izanami standenalle möglichen Mittel zu Gebote, ihren Willen durchzusetzen. Sie konnte sich also Zeit lassen.
„Die Männer lügen alle“, sagte die Unterweltfürstin in ruhigem Ton.
„Ja, ja. Und sie betrügen, und sie stehlen“, kommentierte Alastor ungeduldig, „so viel und so oft wie Frauen auch. Komm auf den Punkt, Izanami. Was willst du?“
„Nicht ich, sondern du willst etwas. Beziehungsweise dein Vater. Eine Seele, die ihm nicht zusteht.“
„Wir reden von Butchers Seele. Richtig. Aber das haben wir …“
„Du irrst“, unterbrach ihn Izanami. „Wir reden über Naphré Kuratas Seele, die ursprünglich jemand anderem gehörte. Sutekh hatte gar kein Recht, darüber zu verfügen.“
„Ich habe die Isisgarde verlassen“, warf Naphré schüchtern ein. „Ich habe mich von ihnen abgewandt, bevor der Dämon …“, sie korrigierte sich, „… bevor Sutekh mich um meine Seele betrogen hat.“
Alastor horchte auf. Die Wortwahl war ihm nicht entgangen. Er hatte Naphré früher schon einmal gefragt, ob sie sich von ihrem „Dämon“ betrogen fühlte. Sie hatte verneint, weil er sein Versprechen, ihrem Vater das Leben zu retten, ja gehalten hatte. Seit sie nun wusste, wer tatsächlich hinter dem Dämon steckte, hatte sie ihre Meinung offenbar geändert. Verdenken konnte er ihr das nicht.
„Du magst davongelaufen sein und der Isisgarde den Rücken gekehrt haben“, meinte Izanami, „aber dein Blut bleibt dennoch dasselbe. Du warst eine Isistochter und wirst es auch immer bleiben. Hier geht es noch um etwas anderes, um die Zeit nämlich, bevor du zu denen gehört hast.“
Naphré zuckte zusammen. „Bevor ich …? Ich verstehe nicht.“
Alastor ging es ebenso. Obendrein hegte er die Vermutung, dass ihm die Erklärung, die vermutlich gleich folgen sollte, nicht gefallen würde.
„Ich will dir eine Geschichte erzählen“, sagte Izanami. Wieder klang ihre Stimme so reizend und verführerisch, dass sie einem unwillkürlich ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. „Da war einmal ein Mann, ein blendend aussehender Japaner und Abkömmling eines Gottes, der seinerseits den Lenden einer Göttin entsprungen war. Dieser schöne Japaner verliebte sich in eine nicht minder schöne Frau, ebenfalls göttlichen Ursprungs, Tochter allerdings einer ganz anderen Göttin. Auch diese Frau liebte den schönen Japaner. Aber es gab etwas, das für sie Vorrang vor allem anderen hatte, auch vor ihrer Liebe zu dem Mann. Die Verpflichtung ihrer Abstammung gegenüber ging ihr über alles und verbot ihr, ihn zu erhören.“
Ruhig fuhr Izanami fort: „So wandte sich der Mann an die göttliche Ahnin seiner schönen Freundin und flehte sie an, ihnen zwanzig Jahre zu schenken, in denen sie als liebendes Paar zusammen sein konnten. Doch die Göttin wies sein Ansinnen ab. Da wandte sich der Mann an mich und flehte mich um die zwanzig Jahre an. Er versprach mir als Gegenleistung seine Tochter. Ich erhörte ihn. Aber wie alle Männer machte er bald einen Rückzieher. Als
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