Seelensunde
das halb bewusstlose Mädchen stützte. Weil sein Körper nach einer Dosis Zucker verlangte, steckte Alastor sich den Karamellbonbon in den Mund.
Wenig später hatte sich Naphré wieder gefangen. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Jedenfalls will ich so etwas nicht noch einmal erleben“, meinte sie.
„Immerhin besser, als erschossen zu werden … oder gegrillt,findest du nicht?“ Vom bedrohlichen Auftreten der Shikome ganz abgesehen. Aber die ließ er lieber unerwähnt. „Hier.“ Er bot Naphré ein Toffee an. „Iss das!“
Sie sah ihn skeptisch an, nahm das Toffee aber doch. Staunend beobachtete er, wie sie anschließend aus der Tasche eine kleine Flasche hevorzog, sich ein wenig klare Flüssigkeit daraus auf die Handfläche schüttete und sich die Hände sorgfältig einrieb. Erst nachdem sie die Flasche wieder verstaut hatte, wickelte sie den Bonbon aus und steckte ihn sich in den Mund. „Desinfektion“, erläuterte sie. „Die kleinen Tierchen, die man nicht sehen kann, sind die gefährlichsten.“
„Das stimmt.“
Wieder ein skeptischer Blick. Dann sah Naphré sich um. „Wir sind ja in meiner Straße“, rief sie erstaunt.
„Was du nicht sagst.“
„Was machen wir denn hier?“
„Irgendwohin mussten wir schließlich gehen.“
„Aber ganz sicher nicht hierher“, meinte Naphré entschieden.
Alastor hatte keine Lust, mit ihr zu streiten. „Na schön. Mach einen besseren Vorschlag.“
„Wie wär’s, wenn wir zu dir gehen?“
„Na schön. Mach ich eben das Portal wieder auf.“
Naphré wurde blass. „Das muss nicht sein. Du lebst doch in der Unterwelt, oder?“
Alastor schmunzelte. „Nein, ich lebe auf Hawaii.“
„Nanu? Ich hätte eher auf England getippt. Aber das erklärt immerhin deine Sonnenbräune. Und wieso ausgerechnet Hawaii?“
„Weil ich auf das Wetter unglücklicherweise keinen Einfluss habe.“ Da sie ihn verständnislos ansah, fuhr er fort: „Ich mag keine Wetterwechsel, und auf Hawaii ist das Wetter ziemlich beständig. Die Temperaturschwankungen im Jahr betragen nicht mehr als fünf Grad. Wenn ich nach Hause komme, weiß ich immer, was mich erwartet.“Naphré schüttelte den Kopf. „Du musst eine ganz schöne Macke haben.“
„Du nicht?“, konterte er, und sie musste lachen.
„Wenn du wüsstest.“
Für einen Moment gab es eine Vertrautheit zwischen ihnen, ein tiefes Verständnis, als kennten sie sich schon seit Jahren. Alastor war davon entzückt und erschrocken zugleich. Allzu innige Beziehungen bargen ein Risiko. Man konnte den anderen verlieren und verletzt werden. Mit denen, die er in der Oberwelt hatte zurücklassen müssen, hatte er das schon durchgemacht und wollte es nicht noch einmal erleben.
Dass aus einer Beziehung zu Naphré beim besten Willen nichts werden konnte, stand ohnehin fest. Nicht zuletzt weil sie bis zum Hals in Schwierigkeiten steckte, mit denen er nichts zu tun haben wollte. Sie gehörte von Haus aus zu den Isistöchtern, hatte der eigenen Gattung anscheinend jedoch den Rücken gekehrt und sich anderweitig verdungen. Sie stand in Sutekhs großem Buch und wurde zu allem Überfluss auch noch von Izanami verfolgt. Mit anderen Worten war sie ein schwarzhaariges, dunkeläugiges, ungewöhnlich attraktives Sicherheitsrisiko auf zwei hübschen, langen Beinen. Wenn er seine Sinne beisammenhatte, machte er geflissentlich einen großen Bogen um sie. Aber Alastor kamen allmählich Zweifel, ob er noch alle Sinne beisammenhatte.
„Bringen wir sie rein“, schlug er vor, hob das Mädchen auf und legte sie sich wie einen Kartoffelsack über die Schulter, sodass ihr langes Haar fast bis auf den Boden reichte. „Wohnst du unten oder im ersten Stock?“
Sie schaute ihn an, als wäre er nicht ganz bei Trost. „Hä? Der erste Stock ist doch unten. Was soll die Frage?“
Jetzt war er derjenige, der ein dummes Gesicht machte. „Seit wann ist der erste Stock denn unten?“ Kopfschüttelnd ging er in Richtung Haustür. Es war ein altes, aber gut erhaltenes und gepflegtes Wohnhaus in einem der besseren Viertel der Innenstadt. „Unten ist das Erdgeschoss, wie der Name schon sagt. Dannkommt der erste Stock, und der ist logischerweise darüber.“
Naphré, die nichts von der britischen Weise, die Etagen zu bezeichnen, wusste, beharrte auf der Sichtweise, die auf ihrer Seite des Atlantiks üblich war. „Quatsch. Erst kommt der erste Stock, und der ist logischerweise unten, und was darüber ist, ist der zweite Stock.“
Alastor konnte sich
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