Seelensunde
Die Möbel waren überwiegend in Weiß gehalten. Hier und da gab es ein paar farbliche Akzente in Blau und Schwarz. Die ganze Einrichtung wirkte fast ein wenig maskulin. War wirklich ein Mann hier im Haus?
Alastor vertrieb den Gedanken. Stattdessen suchte er nach einer Möglichkeit, das Mädchen abzusetzen, das er mit sich herumtrug, und steuerte die Couch unter einem Panoramafenster an.
„Das wirst du nicht tun“, fuhr Naphré ihn an.
„Was?“ Sie sah ihn mit einem gequälten Gesichtsausdruck an, aber er hatte keine Ahnung, was in sie gefahren war. „Was nicht tun?“
„Du legst sie nicht auf meine weiße Couch. Sie ist vollgekotzt und hat auf der Straße im Dreck gelegen. Warte!“ Sie schloss die Wohnungstür hinter sich ab. Dann kam sie und zog dem Mädchen die Stiefel aus, stellte sie säuberlich nebeneinander auf eine Matte neben der Tür, warf noch einen vorwurfsvollen Blick auf seine beschmutzten Schuhe und verschwand kurz, um mit einer Decke zurückzukehren, die sie über die Couch breitete.
„Okay, jetzt kannst du sie da hinlegen.“
„Wie du willst. Dein Wunsch ist mir Befehl.“
„Ach, wirklich?“, entgegnete sie. „Wenn das so ist, dann nimm sie bitte wieder und verschwinde mit ihr.“
„Du hast doch vorgeschlagen, sie hierher zu bringen.“
„Was sollte ich denn sonst tun? Sie da lassen?“
„Warum nicht? Sie waren hinter dir her und nicht hinter ihr.
Ihr wäre nichts passiert.“
„Leg sie hin“, meinte Naphré nur.
„Okay.“ Er bettete sie auf die Couch.
„Glaubst du das wirklich?“, fragte Naphré, „dass sie hinter mir und nicht hinter ihr her waren?“
Ihre Frage ließ ihn aufhorchen. War ihm etwas entgangen? „Natürlich. Warum, glaubst du, wäre ich sonst dazugekommen? Doch nicht für irgendeine wildfremde Frau.“
„Und was bin ich für dich? Vielleicht keine wildfremde Frau ?“
Er hütete sich, ihr darauf eine Antwort zu geben.
„Und was hattest du dort überhaupt zu suchen? Wolltest du auf mich aufpassen? Bist du vielleicht mein großer Bruder?“
Bruder? Bloß das nicht. Wie hübsch sie aussieht, wenn sie wütend ist, dachte Alastor, während er sie betrachtete, ihre dunklen, funkelnden Augen, die leicht geröteten Wangen und ihre vollen Lippen, die jetzt einen Schmollmund bildeten. Unwillkürlich dachte Alastor an den Kuss, den er ihr hinter dem Setnakht-Tempel auf der Straße gegeben hatte, und er hätte das gern wiederholt. Nur dieses Mal mit mehr Gefühl. Dieses Mal konnte er sich Zeit lassen. Er würde ihr langsam mit der Zungenspitze über die Lippen fahren, bevor er in ihren Mund dringen würde. Er würde ihre zarte Haut streicheln, sie Stück für Stück ausziehen … Weiß der Teufel, was noch alles.
Er musste sich zusammenreißen. Wie konnte es nur sein, dass sie ihm nur gegenüberstehen und ihn ansehen musste, um ihn so sehr zu erregen, dass er kaum noch in seine Hose passte?
Bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, fragte er sachlich:
„Wie kommst du darauf, dass sie nicht hinter dir her sind?“
Naphré schüttelte unwillig den Kopf. „Ich habe dir doch gesagt, dass es um das Mädchen ging. Es sah aus, als sei sie verschleppt worden, nachdem sie sie mit Alkohol oder Drogen außer Gefecht gesetzt haben. Vielleicht, um sie zu vergewaltigen, wenn nicht sogar noch Schlimmeres.“
„Meinst du? Ich hatte eher den Eindruck, dass sie einfach sturzbetrunken war und zur falschen Zeit am falschen Ort aufgekreuzt ist.“ Alastor zuckte die Schultern. „Aber es ist nicht mein Job, gefallene Mädchen zu retten.“
„Du hast mir immer noch nicht gesagt, wieso du überhaupt bei den Setnakhts aufgekreuzt bist.“
„Ich bin dir gefolgt.“
Sie stutzte und runzelte die Stirn. „Gefolgt? Von wo denn? Wieso habe ich dich nicht bemerkt?“
„Das ist eine komplizierte Angelegenheit. Seelensammler haben die Fähigkeit, den Zusammenhalt zwischen unseren Molekülen praktisch aufzuheben. Einfacher gesagt: Wir können uns nach Belieben unsichtbar machen.“
Naphré wirkte ein wenig ratlos.
Das Mädchen auf der Couch stöhnte leise und begann, sich zu rühren. Sie lag in einer merkwürdig verrenkten Stellung, die sehr unbequem aussah. Ein Arm hing herunter, der andere lag eingeklemmt zwischen ihrem Rumpf und der Rückenlehne. Alastor ging zu ihr, rückte sie ordentlich auf ihrem Lager zurecht und schob ihr ein Kissen in den Nacken.
Als er aufblickte, merkte er, dass Naphré ihm mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete. Im Anblick ihrer schönen
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