Seelensunde
nicht genug darüber wundern, dass diese Naphré Kurata immer wieder dafür sorgte, dass er sich mit ihr auf solche Streitereien einließ. Noch mehr wunderte ihn, dass ihm dieser Kinderkram auch noch Spaß machte.
Er streckte die Hand aus. „Schlüssel“, befahl er knapp.
Ausdruckslos sah sie ihn an. Trotzdem erriet er, was sie dachte: Macho! Sie hätte es ruhig laut aussprechen können. Resigniert seufzend griff sie in die Tasche und holte das Schlüsselbund heraus. Dann drängte sie sich an ihm vorbei und schloss die Tür auf.
„Hübsch“, meinte er, „wenn auch nicht besonders sicher.“
Sie machte sich nicht die Mühe zu antworten.
Drinnen empfing sie ein schmaler Flur mit einem Treppenaufgang. Naphré ging voraus. „Hier unten – im ersten Stock – wohnt ein Student zur Miete, gegenüber ein Geschäftsmann. Aber der ist selten da. Meistens ist er auf Reisen. Hier entlang.“
„Und wer ist der Vermieter?“, wollte Alastor wissen.
„Das bin ich.“
Er war beeindruckt. „Nicht schlecht. Nettes Haus, gute Gegend. Dein Beruf scheint dich ja gut zu ernähren.“
„Du kennst das Geschäft doch selbst. Und ich wette, dein kleines Anwesen auf Hawaii macht auch was her.“
Ganz traf das nicht den Kern. Denn fürs Töten wurde er nicht bezahlt. Jedenfalls nicht in Dollars. Sein Geld verdiente Alastor mit Kapitalanlagen.
Oben vor der Wohnungstür war nur Platz für einen. So musste Alastor zwei Stufen tiefer warten, bis Naphré aufgeschlossen hatte. „Wohnst du allein?“, fragte er.
„Nein, ich habe noch einen Mitbewohner.“
Alastor glaubte, ein listiges Zwinkern erkannt zu haben, und ärgerte sich, überhaupt gefragt zu haben. Weil er natürlich sofort an einen Mann gedacht hatte, hatte ihre Antwort ihn in einen leichten Schock versetzt.
Naphré betrat die Wohnung, während er zögernd an der Schwelle stehen blieb. „Darf ich hereinkommen?“
Sie lächelte ein wenig spöttisch. „Ist das bei euch so wie bei den Vampiren, die auch erst hereingebeten werden müssen?“
„Vampire – das sind doch Märchen.“ Sein Blick streifte ihre linke Schulter, auf der er das Zeichen der Isis gesehen hatte. „Aber dass du – als Isistochter, als Otherkin – darauf kommst, ist schon bezeichnend. Soviel ich weiß, trinken die Mitglieder der Isisgarde Blut, oder? Sie schmarotzen an der Lebenskraft anderer.“
Er erwartete eine Reaktion, aber mehr als ein Aufblitzen ihrer Augen gab sie nicht preis. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. Sie ist schon ziemlich cool, meine Naphré, dachte er. Moment. Meine Naphré? Er musste von allen guten Geistern verlassen sein.
„Ist doch interessant, was man so alles erfährt, wenn der Bruder mit einer Isistochter schläft.“ Er machte einen Schritt auf sie zu, aber sie ließ sich nicht einschüchtern. Sie wich keinen Zentimeter zurück, sodass sie sich dicht gegenüberstanden. „Um deine Frage zu beantworten: Ich komme überall hin, wohin ich will – mit und ohne Einladung. Ich wollte nur höflich sein.“
„Isistöchter schlafen nicht mit Reapern“, murmelte sie.
„Nein?“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Das werden wir ja sehen.“
„Werden wir.“
Naphré trat beiseite und knipste das Licht an.
Alastor sah sich um. Die Wohnung war größer, als es die etwas schmalbrüstige Fassade des Hauses vermuten ließ. Vor ihm erstreckte sich ein langer Flur. Links führte eine schmale Treppe nach oben, auf der anderen Seite ein breiter Durchgang in ein geräumiges Wohn- und Esszimmer. Alastor trat einen Schrittvor und sah sich um. Es war eine Flucht von Räumen, die nicht durch Wände und Türen, sondern durch geschickt aufgestellte Möbel aufgeteilt waren. Der Essbereich lag weiter hinten. In seiner Mitte stand ein mächtiger, rechteckiger Tisch, an dem gut und gern acht bis zehn Personen Platz finden konnten. Dieser Tisch sagte eine ganze Menge aus. Offenbar liebte Naphré Gesellschaft und empfing Freunde oder die Familie als Gäste.
Hinter einem Mauervorsprung schloss sich die geräumige Küche an – mit Arbeitsplatten aus Granit, einer Küchenvitrine aus Kirschholz und Armaturen aus Edelstahl. Dahinter lag noch ein kleiner Wohnraum mit einem riesigen Fernseher.
Alles sah sauber und sehr ordentlich aus, was Alastor durchaus behagte. Bei ihm zu Hause war es nicht anders. Auch dort war alles übersichtlich, an seinem Platz und ohne Schnickschnack. Darin schienen er und Naphré sich zu ähneln. Beide bevorzugten offenbar klare, schlichte Linien.
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