Seelensunde
wie er zusammenzuckte und sich für eine Sekunde krümmte. Offensichtlich war er ein zweites Mal von einem Schuss getroffenen worden. Im nächsten Augenblick nahm sie einen metallischen Geruch wahr. Sein Blut. Ein verführerischer Duft, der tief in ihrer Natur verborgene Begierden weckte. Ausgerechnet jetzt begegnete ihr das Erbe ihrer Mutter, gegen das sie so lange angekämpft hatte. Naphré hätte laut aufschreien mögen. Nie zuvor war sie derart in Versuchung geraten wie jetzt durch das Blut des Seelensammlers. Nur eine winzige Menge davon, und sie würde übernatürliche Kräfte erlangen, aber auch ihr Leben lang davon abhängig sein.
Eine Feuerkugel zischte so dicht an ihr vorbei, dass die Hitze ihr beinahe die Haut versengte. Hektisch blickte sie um sich. Es gab kein Entkommen.
Plötzlich entdeckte Naphré hinter der Linie der Feuerdämonen eine weibliche Gestalt in einem wallenden grauen Gewand. Weder Hände noch Füße noch das Gesicht, nicht einmalihre Augen waren zu erkennen. Naphré erstarrte. Irgendetwas lief hier total schief.
„Los jetzt!“, brüllte Alastor, der seine geschliffenen Umgangsformen für diesen Moment vergaß. Als Naphré ihn ansah, stellte sie fest, dass auch er diese merkwürdige Gestalt bemerkt hatte. Seine Züge glichen einer starren Maske. Naphré wusste nicht mehr, was sie am meisten zu fürchten hatte, die Xaphanbräute, die Setnakhts oder die graue Frau. Oder doch ihn, den Reaper.
Noch einmal scheute sie davor zurück, die Flucht durch das eisige schwarze Loch anzutreten. Alastors Griff war jedoch unerbittlich, und er ließ ihr keine Wahl. Er ging voran und zog die beiden Frauen hinter sich her. Die Kälte dort war noch schlimmer, als Naphré erwartet hatte. Sie ging durch Mark und Bein und schmerzte, dass sie das Gefühl hatte, als würde ihr die Haut abgezogen. Hier gab es keine Luft zum Atmen. Es war, als sei man von Glasscherben umgeben.
Nur Alastors Hand, die sie hielt, fühlte sich warm an, beinahe heiß in dieser Umgebung. Instinktiv suchte sie seine Nähe, aber sich zu bewegen war eine schlechte Idee. Naphré wurde schwindelig. Sie hatte keinen Boden mehr unter den Füßen, fühlte das Gewicht ihrer Glieder nicht mehr. Es schien hier keine Schwerkraft zu existieren. Hier existierte überhaupt nichts.
Sie war nicht sicher, ob sie diesen Trip überleben würde, wohin auch immer er sie führte. Die Welt taumelte von einer Seite zur anderen. Sie hatte sämtliche räumliche Orientierung verloren. Ihr Magen drehte sich um, ihr Kopf schmerzte zum Zerplatzen. Ein bitterer Geschmack stieg aus der Speiseröhre auf.
Genau in diesem Augenblick tat das unbekannte Mädchen, was Naphré gerade noch hatte unterdrücken können. Sie erbrach sich laut und ausgiebig, als würgte sie sich die Seele aus dem Leib.
„Verfluchte, elende Scheiße!“, rief Alastor wütend.
Naphré fand, das war eine recht treffende Zusammenfassung ihrer gegenwärtigen Situation.
10. KAPITEL
I ch glaube es nicht. Sie hat auf meine teuren Schuhe gereihert.“ Alastor blickte angewidert auf seine unbezahlbaren Berlutis. Dann hob er den Kopf und schaute Naphré an, die ein wenig blass um die Nase war. „Immerhin erstaunlich, dass du ihrem Beispiel nicht gefolgt bist. Ich habe sehr wohl gemerkt, dass du eine gewisse … Abneigung gegen mein Portal hegst.“
Naphré hob abwehrend die Hände. Sie wollte weder daran denken noch davon hören. „Was immer das eben gewesen ist“, sagte sie mit unsicherer Stimme, wobei sie noch immer am ganzen Leibe zitterte, „das wirst du nie wieder mit mir machen.“
„Ich habe dir den Arsch gerettet, mein Kätzchen. Sei froh, dass ich es getan habe.“ In Alastors Augen hatte das Auftauchen der Shikome die größte Bedrohung an diesem Abend dargestellt. Es waren nur zwei Tage seit ihrer Unterredung in Sutekhs Audienzsaal vergangen. Und die Shikome schien jetzt schon ungeduldig zu werden und nicht länger auf Naphré warten zu wollen. Oder auf ihn.
Naphré, die noch immer ein wenig unsicher auf den Beinen war, hielt sich weiter an Alastor fest. Er ließ sie gewähren und gönnte sich das angenehme Gefühl ihrer Nähe. Eine starke, tatkräftige, faszinierende Frau. War sie sich eigentlich der Tatsache bewusst, dass sie sich an ihn lehnte? Als sie die Lippen zusammenpresste und heftig schluckte, trat er sicherheitshalber zwei Schritte zur Seite.
Er griff in seine Tasche und holte ein Toffee heraus, das er mit einer Hand auswickelte, da er mit der anderen nach wie vor
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