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Seelensunde

Seelensunde

Titel: Seelensunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silver Eve
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über tiefe Bodenrillen hinweg, die das Vorankommen stark behinderten. Dennoch hätte Alastor die Strecke wohl in einem Zehntel der Zeit zurückgelegt, wäre er allein gewesen.
    „Was ist das? Ein ausgetrocknetes Flussbett?“, fragte Naphré.
    „Sieht so aus“, antwortete er knapp. Er wollte gar nicht so einsilbig sein, allein deshalb, weil er Naphrés weiche, sanfte Stimme so gern hörte. Alles an ihr war unbeschreiblich weiblich.
    „Du weißt, wohin wir gehen?“
    „Zu Izanami.“
    „Und du kennst den Weg zu ihr?“
    Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. „Warum fragst du?“
    „Du gehst so zielstrebig voran, dass ich mir nicht sicher bin, ob du tatsächlich weißt, wo es langgeht, oder ob du einfach auf blauen Dunst losläufst.“
    „Ich weiß es.“ Jedenfalls ungefähr. Sein Radar für übernatürliche Schwingungen wies ihm die allgemeine Richtung und verriet ihm, wo er den Eingang zu Yomi, dem Reich Izanamis, zu suchen hatte.
    „Okay. Führ mich, Macduff.“
    „Falsches Zitat“, tadelte Alastor im Weitergehen.
    „Wie bitte?“
    „Im Macbeth heißt es: ‚Stell dich, Macduff. Und wer zuerst ruft ‚Halt! Genug!‘, der fahr’ zur Höll’ hinab.‘“
    Naphré trottete hinter ihm her und meinte nach einigen Augenblicken: „Na ja, passt doch auch ganz gut, oder?“
    Alastor lachte. „Das kann man sagen.“
    „Musst du eigentlich immer das letzte Wort haben?“
    „Wenn’s geht, ja.“
    Sie versuchte, weiter Schritt zu halten. Leicht fiel es ihr bei dem Tempo, das er vorlegte, nicht. Für Alastor schien es dagegen wie ein Spaziergang zu sein. Als er merkte, wie sie zu kämpfen hatte, bot er ihr – sicherlich zum zehnten Mal – an, ihr den Rucksack abzunehmen.
    Wieder winkte Naphré ab. „Er ist nicht schwer.“
    „Schwer oder nicht. Ich bin so erzogen worden, dass sich in meiner Gegenwart noch nie eine Lady mit Gepäck hat abplagen müssen.“
    Dieses Mal war Naphré diejenige, die lachte. Für ihn war ihr Lachen wie ein warmer Sonnenstrahl. „Wie kommst du darauf, dass ich eine Lady bin?“
    Er wollte gerade etwas erwidern, blieb jedoch unversehens stehen, sodass Naphré beinahe in ihn hineingerannt wäre. Etwas hatte ihn alarmiert.
    „Was ist los?“ Instinktiv drehte sie sich auf dem Absatz um und stellte sich mit dem Rücken zu ihm, sodass sie einen möglichen Angreifer von hinten abwehren könnte. Das geschah ganz automatisch. Es war ein Reflex, über den Naphré, geschult durch intensives Training, gar nicht nachzudenken brauchte.
    „Ich weiß es nicht“, antwortete er. Es gab nicht die geringste Veränderung in ihrem Umkreis. Es war nichts zu hören, nichts zu sehen, nichts zu spüren. Und dennoch stimmte etwas nicht. Ganz und gar nicht. „Bleib dicht bei mir“, mahnte er. Er blickte sich kurz um und sah, dass sie eines ihrer Messer gezückt hatte,was immer es ausrichten sollte.
    Alastor studierte den Boden unter ihren Füßen, als erwartete er, eine Armee von Würmern und Maden würde aus einem Erdspalt dringen und ihnen gleich an den Beinen hochkriechen. Nichts dergleichen geschah. Doch auch wenn sich nichts Verdächtiges rührte, war Alastor sicher, dass sich irgendein Unheil näherte, und zwar in Windeseile.
    Er ergriff Naphrés Hand und sagte: „Wir müssen hier weg.“ Dann begann er zu laufen, wobei er Naphré hinter sich her zog.
    Hinter einer Biegung führte die Schlucht bergab und war bald darauf – zu Ende. Ein gewaltiger Felsbrocken blockierte den Weg. Alastors Besorgnis wuchs. Er versuchte, Naphré von diesem Ort wegzuziehen, aber dieses Mal weigerte sie sich, ihm zu folgen.
    „Hier ist es“, flüsterte sie und legte die freie Hand flach auf den Stein, der über ihnen aufragte.
    „Hier ist – was?“
    „Das kommt in dem Mythos von Izanami und ihrem Mann Izanagi vor. Sie war gestorben, und er folgte ihr nach Yomi in die Unterwelt, weil er sie zurückhaben wollte. Aber alles lief schief, als er dorthin kam.“
    „Inwiefern?“
    „Sie hatte schon von der Speise der Toten gekostet, und ihr Körper war in Verwesung übergegangen. Er hatte ihr geschworen, dass er sie nicht ansehen würde, während sie die Götter um Erlaubnis bat, zu den Lebenden zurückzukehren.“ Naphré hob bedauernd die Schultern. „Aber er war nicht stark genug.“
    „Und was hat das mit diesem Felsen zu tun?“
    „Er drehte sich doch zu ihr um und lief dann in panischem Schrecken davon, als er ihren verrotteten Leib sah. Er floh aus Yomi und wälzte diesen Felsbrocken vor

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