Seelentausch - Ein dunkles Familiengeheimnis (German Edition)
starke Windböe zerzauste sein klebriges Haar, und Schnee flog ihm in die Augen. Und das, obwohl seine dicke Brille einen Großteil der Flocken aufhielt. Karl Gustav nahm die Brille ab und steckte sie in die Brusttasche seines Parkas. Bei dieser Witterung konnte man sowieso keine fünf Meter weit schauen. Da war es völlig egal, ob man eine Brille auf der Nase hatte oder nicht.
Ein leises Kichern direkt neben ihm ließ ihn zusammenzucken.
»Du hast immer unter deinen schwachen Augen gelitten«, sagte der Hauptmann. Er stand mit verschränkten Armen an einem der großen Felsen gelehnt. »Wäre es nicht fabelhaft, wenn du scharf sehen könntest wie ein Adler?«
Karl Gustav stolperte einen Schritt zurück. Wie war der Hauptmann so schnell an ihm vorbeigekommen? Das war unmöglich.
»Und schwache Augen sind nicht das einzige Problem, wenn du älter wirst«, fuhr der Hauptmann ungerührt fort. »Dein Körper verfällt ja schon jetzt. Bald kommen weitere Leiden, die ersten Krankheiten dazu. Manche sind heilbar, andere nicht. Irgendwann schlägt dein letztes Stündchen. Wäre es da nicht unheimlich beruhigend zu wissen, dass deine Seele in einem neuen Körper einfach weiterleben könnte?«
»Ja, das wäre es«, hörte Karl Gustav sich sagen, obwohl er nicht vorhatte, dem Hauptmann-Ding eine Antwort zu geben. Er zwinkerte mit den Augen und versuchte, das Gesicht des Hauptmannes unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht war dieser Typ nur ein furchtbarer Aufschneider oder erlaubte sich einen Spaß mit Wilhelm und ihm? Aber es war kein schelmisches Grinsen unter der Mütze zu erkennen. Eigentlich konnte Karl Gustav überhaupt keine Regung in seinem Gesicht ausmachen. Es schien fast so, als wäre dieses Gesicht nur eine Maske. Eine Maske aus äußerst straff gezogenem Plastik oder Silikon ohne jegliche Konturen, wenn man einmal von den dicken Adern absah.
Eine neuerliche Schneeböe pfiff ihm um die Ohren. Er befand sich höchstens seit einer Minute hier draußen, und schon hatte sich auf seinem Parka eine feste, weiße Schicht gelegt. Mit gerunzelter Stirn betrachtete Karl Gustav den Hauptmann. Seine Uniform sah nach wie vor tadellos aus. Es schien, als würde jede einzelne Schneeflocke einen großen Bogen um seine Kleidung machen. Selbst der Wind verschonte ihn, denn seine vollen Haare hingen an ihm herunter, als würde er noch immer in der geschützten Höhle stehen und nicht mitten in einem Unwetter.
»Sie sollten wieder hereinkommen und sich meinen Vorschlag anhören«, sagte der Hauptmann.
Für einen klitzekleinen Moment überkam Karl Gustav erneut das Bedürfnis, sich umzudrehen und so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Eine ganze Ladung Schnee wehte ihm ins Gesicht, und er fuhr sich mit der Hand wild fluchend über die Augen. Als sein Blick wieder zu dem Felsen wanderte, war der Hauptmann verschwunden.
Und auf einmal spürte Karl Gustav, dass sein Interesse nun doch geweckt war. Wer wünschte sich nicht, unsterblich zu sein? Oder zumindest noch ein weiteres Leben zu bekommen? Es wäre dumm, sich den Vorschlag nicht wenigstens einmal anzuhören.
Langsam drehte Karl Gustav sich um und ging auf den Spalt zu. Bevor er eintrat, blickte er erneut zu der Stelle, an der das Wesen eben gelehnt hatte. Der Schnee dort war unberührt, es gab auch keinerlei Fußabdrücke, die zu dem Felsen hin- oder wegführten.
»Ich schlage euch also ein Geschäft vor«, sagte der Hauptmann und rieb die Hände aneinander, als ob ihm kalt wäre oder die Gier plötzlich Besitz von ihm ergriffen hätte.
»Was für ein Geschäft?«, fragte Karl Gustav skeptisch. Er hatte sich direkt neben Wilhelm platziert, der noch immer unter der hell erleuchteten Fackel saß. Immerhin schien ihm die Pause gut zu bekommen. Seine Wunde blutete nicht mehr, und der trübe Blick in seinen Augen, der Blick des Todes, war verschwunden.
»Wenn eure Körper alt und gebrechlich werden, kommt wieder her«, sagte der Hauptmann. »Ich gebe euch ein neues Leben. Eure Seelen wandern in einen jüngeren Körper. Ihr könnt unbeschwert weiterleben.«
»Jedes Geschäft hat seinen Preis«, erwiderte Lackner wie beiläufig.
Der Hauptmann fing an zu lachen. Die kahlen Wände warfen seine Stimme hundertfach zurück.
»Hauptgefreiter Lackner kommt gleich auf den Punkt. Als Gegenleistung für euer zweites Leben verlange ich ausreichend Nahrung.«
»Was für Nahrung?«, fragte Karl Gustav. »Wir haben selbst kaum genug. Es ist Krieg.«
»Keine Nahrung, die ihr zu euch
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