Seelentod
«Stundenlang sind die da drin gewesen und haben seine Sachen durchwühlt. Das hätte ihn fuchsteufelswild gemacht. Selbst ich habe nie in sein Zimmer gedurft, nicht mal, um sein Bett zu beziehen.»
«Ich weiß. Und ich werde nichts durcheinanderbringen.»
Sie stand auf, und er folgte ihr, nahm an, sie würde ihn nach oben führen. Stattdessen gingen sie den Flur hinunter in den ebenerdigen Anbau. Dannys Zimmer war fast wie eine separate Wohnung, mit eigener Dusche und eigenem Eingang.
«Das haben wir gebaut, als er dreizehn war», sagte Karen. «Als wir noch das Geld dazu hatten. Dereks Idee. Ein Zimmer, wo er mit seinen Freunden hinkonnte, ohne uns zu stören.»
Verzogener Fratz, dachte Joe. Die meisten Jugendlichen würden ihren rechten Arm für so ein Zimmer hergeben, aber er ist immer noch nicht zufrieden gewesen.
Das Zimmer war lang gestreckt und niedrig. Es wirkte wie eine größere Studentenbude. Auf dem Boden neben einem Stapel CDs lag eine Gitarre. Es gab einen Fernseher und einen Computer. An einem Ende des Raums stand eine Werkbank mit einem Wasserkocher und einer Mikrowelle darauf, daneben ein kleiner Kühlschrank. Selbst montierte Bücherregale. Die Poster an den Wänden schienen noch aus der Schulzeit zu stammen. Rockbands und seltsame Muster, die Joe nichts sagten. An einer Wand hing eine riesige Collage aus Stofffetzen und Glanzpapier in leuchtenden Farben, beeindruckend und lebendig. Zunächst schien sie kein richtiges Bild zu ergeben, aber als Joe länger hinsah, erkannte er ein großes, lächelndes Gesicht. Karen bemerkte, dass er die Collage betrachtete.
«Das hat Hannah gemacht», sagte sie. «Das war für ihren Abschluss an der Sekundarstufe. Danny hat gesagt, dass es ihm gefällt, und sie hat es ihm zum Geburtstag geschenkt.» Sie schwieg kurz. «Manchmal denke ich, alles wäre ganz anders gekommen, wenn er mit Hannah zusammengeblieben wäre. Da haben wir angefangen, ihn zu verlieren: als sie ihm gesagt hat, dass sie ihn nicht mehr sehen will. Es war, als hätte er sich von da an von uns abgewendet.»
«Aber er hatte doch wieder eine Freundin in Bristol?» Joe wollte glauben, dass Danny an der Universität glücklich gewesen war.
«O ja.» Karen ging im Zimmer umher, hob ein paar Sachen auf. «Und die ist auch sehr hübsch gewesen. Aber eher eine Art Trophäe. Noch etwas, was er besitzen konnte. Hannah hätte er niemals besessen.»
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Kapitel Einunddreißig
Joe Ashworth saß vor dem Haus der Shaws in seinem Wagen und versuchte, sich vorzustellen, wie das Leben in den letzten paar Jahren dort gewesen sein musste. Derek, der starke Mann, der Häuser gebaut und Geld gemacht hatte, der gut für seine Familie sorgte und plötzlich erkennen musste, dass er gescheitert war. Der verpassten Gelegenheiten nachhing. Seine Frau, die das sorglose Leben hatte aufgeben und eine Arbeit annehmen müssen, die sie verabscheute. Hatte sie Derek die Schuld daran gegeben? Hatte ihre Verbitterung ganz im Stillen an der Ehe genagt, und verachtete sie sich selbst dafür? Hatte sie sich einen Geliebten gesucht, eine Affäre begonnen? Das hätte Ashworth nicht überrascht. Und dann war da der Junge, aufgeweckt und charmant und gewöhnt, alles zu bekommen, was er wollte, und dem erst Hannah und dann die Wendung im Geschick seiner Eltern einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten. Ashworth wünschte, Vera wäre bei dem Gespräch dabei gewesen. Sie hätte herausbekommen, was hinter all dem steckte. Sie hätte einen Sinn darin erkannt.
Er ließ den Motor an und fuhr durch das Tal nach Barnard Bridge. Connies Nissan stand immer noch nicht vor dem Cottage, aber er hielt trotzdem an, klopfte an die Tür und spähte durch die Fenster. Aus dem Briefschlitz ragte die Post. Er schob sie durch. Dann setzte er sich in den Garten und rief nacheinander bei Connies Freundinnen an, die Frank ihm aufgelistet hatte. Dazu brauchte er nicht lang. Es waren nur drei, und keine von ihnen hatte Connie in letzter Zeit gesehen. «Irgendwie haben wir uns aus den Augen verloren, seit sie in den Westen gezogen ist», meinte eine, und etwas Ähnliches sagten sie alle. Es war ihnen unangenehm, dass sie keine besseren Freundinnen gewesen waren. Wieder wurde Joe klar, wie einsam Connie gewesen sein musste, zu stolz, um mit den Freundinnen aus ihrem alten Leben in Verbindung zu bleiben, und geschnitten von den Frauen in ihrem neuen. Er versuchte es noch einmal auf Connies Handy, aber der Anruf wurde sofort auf die
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