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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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verlaufen?»
    «Prima.»
    «Ein paar Einzelheiten wären ganz nützlich.»
    «Zuerst hat sie mit mir und Michael zusammen gesprochen.» Freya lehnte sich auf dem Stuhl zurück, und zum ersten Mal konnte Ashworth die kleine Rundung ihres Bauchs erkennen. «Darüber, wie wir zu dem Baby stehen, wie es unser Leben durcheinanderbringen wird. Michael müsste akzeptieren, dass vieles sich ändert, dass es laut und unordentlich und chaotisch wird. Wie er damit fertig werden würde. Und über so praktisches Zeugs, ob ich mich zum Beispiel beim Arzt und bei einem Geburtsvorbereitungskurs angemeldet habe. Dann hat sie Michael gebeten, uns allein zu lassen, und nur mit mir geredet.»
    «Hat das Michael nichts ausgemacht?», fragte Vera.
    «Er will mich immer beschützen», sagte Freya. «Aber ich habe ihm gesagt, dass es okay ist. Und da hat die Sozialarbeiterin dann persönlichere Sachen gefragt, ist richtig aufdringlich geworden. Wollte was über unsere Beziehung wissen, über meine Familie und das alles.»
    «Was halten Ihre Eltern denn von Michael?» Wieder war es Ashworth unmöglich, den Mund zu halten. Keinesfalls würde
seine
Tochter eines Tages bei so einem Perversling landen, der alt genug war, ihr Vater zu sein. Das wüsste er schon zu verhindern.
    «Meinen Eltern ist das alles scheißegal. Die sind nach Spanien gezogen und haben sich eine Kneipe gekauft. Führen sich auf, als wären sie wieder zwanzig. Für nichts verantwortlich und jeden Abend besoffen.»
    «Sie erfüllen sich ihren Traum», murmelte Vera, gerade laut genug, dass nur Ashworth es hören konnte.
    «Diese Sozialarbeiterin war eine überhebliche Schnepfe», fuhr das Mädchen fort. «Früher habe ich mal Lehrer wie die gehabt. So Typen, die mit einem reden, als wäre man bescheuert. Die alles besser wissen. So wie die einen auf die Palme bringen konnte, musste ja irgendwer mal ausrasten und sie umbringen.»
    «Wie haben Sie Michael kennengelernt?», fragte Ashworth. Die Läden draußen auf der Hauptstraße machten jetzt langsam zu. Es war dunkel geworden. Der Nebel war vom Meer landeinwärts gesickert, und sie konnten das Nebelhorn an der Mündung des Tyne hören. Aus der Metrostation kamen die ersten Pendler von der Arbeit nach Hause. Der Kellner zündete die Kerze auf ihrem Tisch an, und der plötzliche Lichtschein fiel auf das Gesicht des Mädchens.
    «Das war im Willows», sagte sie und strich sich das lange Haar aus dem Gesicht. «Das kennen Sie bestimmt, dieses schicke Hotel am anderen Ende der Stadt. Einmal die Woche bietet er seine Behandlungen in dem Fitness-Club da an. Und ich habe als Bedienung da gearbeitet, seit ich fünfzehn war. Wir haben uns Anfang Dezember kennengelernt, auf der Weihnachtsfeier für die Angestellten.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel Einundzwanzig
    Vera saß allein in dem Haus, das einmal ihrem Vater gehört hatte. In Nächten wie dieser, wenn sie etwas zu tief in die Scotchflasche geschaut hatte, konnte sie ihn hier immer noch vor sich sehen, wie er gutsherrengleich in dem einzigen bequemen Sessel vor dem Feuer saß. Oder wie er am Tisch stand, auf dem er Plastikfolie ausgebreitet hatte, in der Hand irgendeinen toten Vogel, und sich mit konzentriert zusammengekniffenen Augen anschickte, das Tier auszustopfen. Sie konnte wieder den Geruch nach totem Fleisch und Chemikalien riechen.
    «Das Ausstopfen. Darin verbinden sich Kunst und Wissenschaft», pflegte er zu sagen.
    Und Diebstahl. Und Mord. Schließlich hatte er seltene Vögel in freier Wildbahn gefangen und sie im Auftrag von Sammlern, die ähnlich durchgeknallt waren wie er, getötet, und sie hatte ihn nie davon abgehalten. Was hatte das aus ihr gemacht? Jetzt wurde ihr klar, dass es in diesem Fall im Grunde nur um Familien ging, um die merkwürdigen Bande zwischen Kindern und Eltern. Blut und Wasser, dachte sie, und dabei fiel ihr Elias ein, den dieselbe Mutter ertränkt hatte, die behauptet hatte, ihn zu lieben.
    Sie war mit Hectors Beleidigungen aufgewachsen, seinem als Humor getarnten Spott: «Deine Mutter war eine so schöne Frau. Ich sammle überhaupt nur schöne Dinge. Ach, Vee, was ist bloß schiefgelaufen bei dir? Von wem stammst du bloß ab? Muss wohl meine Seite der Familie sein, was? Na, hoffen wir wenigstens, dass du auch meinen Verstand hast.»
    Nur dass ich nicht mal seinen Verstand abbekommen habe, dachte sie jetzt und warf noch ein Holzscheit ins Feuer, sah zu, wie es Funken sprühte, wie die Rinde sich abschälte und aufplatzte. Ich hätte mich

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