Seelentraeume
ihn ziehen«, ergänzte Kaldar. »Er sah Erian gehen und hat nichts dagegen unternommen. Wir alle werden diesen Tag verfluchen, so wahr ich hier stehe.«
»Zurück zu Brennan. Wir täuschen ihm vor, er sei verraten worden«, sagte Richard. »Dass es einen Putsch gegeben hat und einer der anderen die Organisation übernehmen will. Das wird ihn um den Verstand bringen.«
»Dazu brauchst du mindestens zwei Leute«, meinte Kaldar. »Ein einzelner Unruhestifter ist zu leicht aufzuspüren. Also benötigt man mindestens zwei, die so tun, als würden sie unabhängig voneinander agieren. Und du bist aus dem Spiel, Lieblingsbruder, weil ein Bild deiner Visage inzwischen auf Brennans Schreibtisch liegt.«
»Ich kann das machen«, sagte Charlotte. »Die kennen mich nicht. Ich muss nicht mal vorgeben, jemand anders zu sein.«
»Gut, eine hätten wir«, nickte Kaldar. »Aber ich kann Ihnen nicht helfen, und Audrey auch nicht. Der Spiegel würde uns was husten, außerdem müssen wir uns bereithalten. Nächsten Monat heiratet der Große Than Callis die Marchesa Imelle de Lon. Warum konnte der alte Knacker sich keine adrianglianische Frau nehmen? Ich kapier das nicht. Da wartet ein ganzes Königreich voller alter Schachteln auf ihn, aber nein, der alte Bock muss nach Louisiana gehen und sich dort eine Braut ausgucken.«
Der Than hatte sich noch nie um die Regeln geschert. Vor ungefähr achtzig Jahren, als Rogan Brennan auf dem Thron saß, heiratete seine Schwester Solina Brennan Jarl Ulrich Hakonssen aus Vinland im Norden. Nach Rogan ging die Krone an seinen Sohn Olred, womit Jarl Ulrich zum Großen Than aufstieg, ein Titel, der traditionell dem ältesten Onkel des Königs zustand. Als Großer Than hatte er für das Königreich gekämpft und die Armee und die Flotte von Adrianglia im Zehntagekrieg zum Sieg geführt. Olred schaffte es indes, sich umbringen zu lassen, bevor er einen Thronfolger zeugen konnte. Solina hatte wegen Jarl Ulrichs fremdländischer Herkunft keinen Anspruch auf den Thron, also wurde ihre Tochter Gallena die Monarchin von Adrianglia. Inzwischen saß Gallenas Sohn auf dem Thron. Der Große Than war der Vater der letzten Königin und des gegenwärtigen Königs und Brennans Großvater, trotzdem hatte er den Titel behalten, der ihn berühmt gemacht hatte. Charlotte hatte ihn zweimal von Weitem gesehen: ein riesiger, von Schlachten gezeichneter Bär von Mann, berühmt für seine Magie, seine Körperkraft im Kampf und seine volltönende Stimme. Lady Solina war schon seit fast fünfzehn Jahren tot, und nun hatte er sich dazu durchgerungen, noch einmal zu heiraten. Charlotte vermutete, dass er seinen Lebensabend nicht allein verbringen wollte.
»Jeder, der in Adrianglia und Louisiana was zu melden hat, wird auf dieser Hochzeit erscheinen«, fuhr Kaldar fort. »Der Spiegel ist komplett im Alarmzustand.«
»Das wäre eine fantastische Gelegenheit, Brennan bloßzustellen«, dachte Charlotte laut.
»Stimmt, aber ich kann da nicht hin. Ich habe Erwin, dem Einsatzleiter meiner Einheit, einen entsprechenden Wink zu geben versucht, aber er hat mich sofort aus dem Verkehr gezogen. Fehlt also noch ein Mitspieler«, sagte Kaldar. »Dieser Schwindel funktioniert nur, wenn man zweigleisig fährt, man muss das gemeinsame Ziel vollkommen unabhängig aus zwei unterschiedlichen Richtungen ansteuern.«
»Vielleicht könnte ich –«, begann George.
»Nein«, fielen ihm alle drei einstimmig ins Wort.
»Du musst an deine Zukunft denken«, teilte Charlotte ihm mit. »Wenn wir scheitern, wird Brennan es sich zur Aufgabe machen, dir auf die denkbar schlimmste Weise das Leben zu vermiesen.«
»Nicht nur das«, fiel Richard ein, »du bist auch zu bekannt und zu gut vernetzt. Wenn du scheiterst, ziehst du deine Schwester, deinen Schwager und deinen Bruder mit in den Abgrund. Du kannst helfen, George, aber nur im Verborgenen.«
»Wir sind vom Pech verfolgt«, meinte Kaldar.
»Nicht, wenn ich Casside bin«, warf Richard ein.
Was?
»Wie bitte?«, fragte Kaldar.
»Ich bin ihm begegnet«, sagte Richard. »Es wäre nicht schwierig, mich für ihn auszugeben. Du hast doch selbst gesagt, dass wir uns ähnlich sehen.«
»Du kennst dich mit Tarnung aus, das muss ich dir lassen.« Kaldar verschränkte die Arme. »Aber es geht hier nicht um ein mitternächtliches Treffen in einer zwielichtigen Taverne. Du siehst ihm nicht so ähnlich, um damit durchzukommen, und wenn du dir irgendeine Scheiße ins Gesicht klebst, wirst du in den hell
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