Seelentraeume
das Garner College, wo sie Lady Augustine al Ran begegnete, einer direkten Nachfahrin der Familie Ran, die zufällig zu den Ersten Zehn gehörte. Lady Augustine hat sie adoptiert.«
»Mhm.«
»Du hörst nicht zu, Richard, sie hat Charlotte formell adoptiert. Charlottes vollständiger Name lautet Charlotte de Ney al-te Ran. Wenn der König zum Abendessen lädt, sitzt sie am ersten Tisch, direkt neben der königlichen Familie.«
Richard wandte sich ihm zu.
»Die Adoption wurde nicht öffentlich gemacht, vermutlich, damit Charlotte die Möglichkeit hatte, ein normales Leben zu führen. Es steht nicht mal was davon in ihrer Heiratsurkunde, die sie nur mit de Ney unterschrieben hat. Ich glaube nicht, dass der Schwachkopf, den sie geheiratet hat, davon wusste. Aber in dem Dossier, das der Spiegel über sie führt, ist die Adoption aufgeführt. Hast du eine Ahnung, wie viele Kerle morden würden, um in eine Familie der Ersten Zehn einzuheiraten?«
Richard hatte mehr als nur eine Ahnung. »Worauf willst du hinaus?«
»Im richtigen Leben heiraten Prinzessinnen keine Schweinehirten«, sagte Kaldar. »Die Leute stehen auf, wenn sie ihren Namen hören. Du bist ein Edger. Eine Sumpfratte.«
»Ich weiß«, gab Richard zurück. »Trotzdem danke, dass du mich daran erinnert hast.«
Kaldar knirschte mit den Zähnen. »Dann lass mich dich noch an etwas anderes erinnern: Als Marissa weg war, hast du zwei Monate lang durchgesoffen und dich anschließend zu ertränken versucht.«
»Ich sag’s dir jetzt zum allerletzten Mal, ich habe mich nicht zu ertränken versucht. Ich war betrunken und hatte keinen Wein mehr, also bin ich auf den Pier raus, weil ich dachte, auf dem Boot wäre noch eine Flasche.« Dann war er ausgerutscht und hatte festgestellt, dass betrunken schwimmen weitaus schwieriger war als gedacht. Trotzdem hatte er es ans Ufer geschafft und war dort vor Erschöpfung zusammengebrochen. Kaldar hatte ihn gefunden. Aus irgendeinem Grund bestand die gesamte Familie darauf, dass es sich um einen Selbstmordversuch gehandelt hatte, und keine seiner Erklärungen konnte sie vom Gegenteil überzeugen.
»Du bist mein einziger Bruder«, fuhr Kaldar fort. »Wenn du dein Vorhaben durchziehst, wird sie ohne dich in die Gesellschaft eintreten. Ich habe an deinem Plan nichts auszusetzen – du kannst sie nicht dauerhaft einsperren, früher oder später würde sie sowieso ein Stück von diesem Kuchen abhaben wollen. In Wahrheit ist sie ungebunden, schön und trägt einen Namen, der überall Aufmerksamkeit erregt. Wo immer sie auftaucht, wird sie von Haien umkreist werden. Wir reden hier von Menschen, die sich noch nie im Leben darum sorgen mussten, wo sie ihre nächste Mahlzeit herbekommen. Die können auf Zuruf mühelos zehn Generationen Vorfahren runterrasseln. Die sind nicht wie wir. Bestimmt erregt irgendein hübscher Jüngling mit der richtigen Ahnentafel und einem passenden Haufen Geld ihre Aufmerksamkeit.«
»Du machst dir ja echt Sorgen um mich.«
In Kaldars Gesicht zuckte ein Muskel. »Als Marissa dich verlassen hat, warst du noch jung. Ein Teil von dir wusste, dass dein Leben noch vor dir lag. Heute bist du älter, und sie hat dir den Kopf verdreht. Du verliebst dich nicht oft, aber wenn du es tust, geht es immer gleich um alles oder nichts.«
»Seit wann bist du der Fachmann für mein Liebesleben?«
Kaldar machte eine weit ausholende Geste. »Es ist nicht zu übersehen. Du lässt sie nicht aus den Augen. Du versuchst sie zum Lachen zu bringen. Wenn sie dich verlässt, könntest du daran kaputtgehen, und ich bin dann vielleicht nicht da, um deinen Kopf über Wasser zu halten. Ich will nur, dass du jetzt über diese Variante nachdenkst, damit sie dich nicht völlig unvorbereitet trifft, wenn es so weit ist.«
»Ich lasse es dich wissen, wenn ich einen Rettungsschwimmer brauche.«
Kaldar öffnete den Mund, als wollte er noch etwas sagen, klappte ihn dann aber wieder zu.
»Noch was?«, fragte Richard. »Dann raus damit.«
»Wenn du sie heiratest, wirst du zur Familie Ran gehören. Und Lady Augustine al Ran, die Frau, die Charlotte adoptiert hat, muss ihr Einverständnis geben.« Kaldar zog einen kleinen, hellen Bildgeberwürfel aus der Tasche und gab ihn Richard. »Schau dir das hier an, ehe du etwas unternimmst.«
Damit ging er.
»Kaldar!«
Sein Bruder drehte sich noch einmal um und sah ihn an. Er machte sich offenbar ernsthaft Sorgen um ihn. Kaldar trug seine Scherze und seinen Humor wie eine Rüstung. Dass er sie
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