Seelentraeume
Der Kreislauf des Absorbierens und der Dispersion setzt sich endlos fort, und je länger der Vorgang währt, desto schwerer lässt er sich aufhalten. Stellen Sie sich einen Schneeball vor, der einen Abhang hinunterrollt: Je länger er rollt, desto größer wird er. Je länger die Feedbackschleife also dauert, desto größer die Menge der durch den Angreifer strömenden Magie, bis der Angreifer schließlich eine geistlose Leitung für den Fluss magischer Energie wird.
Es gibt Berichte über unterbrochene Feedbackschleifen, von Fällen, in denen der Angreifer den Entzug von Energie einleitete, dann aber nur für einige kurze Augenblicke aufrechterhielt. Diese Magienutzerinnen bekunden, dass die Aufnahme von Magie mit Euphorie und außerordentlichen Glücksgefühlen einhergeht. Was ohne jeden Zweifel einer der Gründe dafür ist, dass sich die Feedbackschleife so schwer unterbrechen lässt. Um es deutlich zu sagen, jemandem Magie zu entziehen bereitet Lust und zahlt sich so sehr aus, dass viele Magienutzerinnen nicht damit aufhören wollen und schon nach wenigen Minuten feststellen, dass sie es gar nicht mehr können.
Für diese Studie wurden elf belegte Fälle unterbrochener Feedbackschleifen untersucht; in neun Fällen unternahmen die Angreifer zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Versuch. Alle neun büßten dabei ihre Menschlichkeit ein und mussten vernichtet werden, da sie eine Bedrohung für andere darstellten. Es ist die Meinung des Autors, dass man eine unterbrochene Feedbackschleife überleben kann, eine weitere Unterbrechung jedoch die menschliche Willenskraft übersteigt.
Kaldar hob den Blick. »Und was heißt das?«
»Wie viel hat George dir erzählt?«
»Ich weiß, dass du verletzt warst und ins Edge geflohen bist. Sie hat dich geheilt, dann kamen die Sklavenhändler, haben die Großmutter der Jungs getötet, das Haus angezündet und dich in einen Käfig gesteckt. Charlotte hat dich befreit.«
»Als sie uns fand, hat sie eine Feedbackschleife eingeleitet. Sie hat da zum ersten Mal getötet und dachte, nicht genug Macht zu besitzen, doch sie kann auch ohne töten, und jedes Mal, wenn sie es tut, treibt ihre Magie sie so weit, es bald wieder zu tun.«
»Und dann?«
»Dann wird sie ihren Feinden Magie entziehen und sie als Seuche wieder abgeben, sie wird anderen neue Energie abzapfen und auch die wieder abgeben und immer so weiter, bis alle Menschen in ihrer Umgebung tot sind. Sie würde darüber zu einer Seuchenbringerin und niemals wieder damit aufhören.«
»Sie würde also zu einer unaufhaltsamen, durchgeknallten Massenmörderin.«
»Ja.«
»Weiß sie es?«
»Ja, sie hat mich gebeten, sie zu töten, wenn sie dem Zwang erliegt. Ich habe versucht, ihr den Feldzug gegen die Sklavenhändler auszureden, aber sie weigert sich, davon abzulassen.«
Kaldar ließ sich auf das Sofa sinken. Er machte ein ernstes Gesicht, was sonst so gut wie nie geschah.
»Glückwunsch«, sagte er trocken. »Endlich hast du’s geschafft, eine Frau zu finden, die auf tragische Weise genauso edelmütig ist wie du. Ich hätte nicht gedacht, dass es so was gibt.«
»Ich bin keine tragische Figur.«
Kaldar hob die Hand. »Erspar mir das, Richard. Manche Kinder werden im Seidenhemd geboren, du wurdest in Melancholie gewickelt geboren. Als man dir den Hintern versohlt hat, damit du deinen ersten Schrei tust, hast du stattdessen nur tief geseufzt und eine einsame Träne verdrückt. Und deine ersten Worte lauteten sicher: Wie weh ist mir.«
»Meine ersten Worte waren: Halt die Klappe, Kaldar. Weil du zu viel geredet hast, was du übrigens noch immer tust.«
»Seit du ein Kind warst, hast du die Traurigkeit deiner Lage immer grimmig bekannt. Und inzwischen merkst du es nicht mal mehr.«
Richard beugte sich vor. »Wäre es besser gewesen, ich hätte mit allem Scherz getrieben?«
»Na ja, irgendwer musste dich ja zum Lachen bringen, sonst wärst du unter der Last, du selbst zu sein, noch zusammengebrochen. Die Menschen lachen gerne über Scherze, mit deinem Kummer dagegen kann keiner was anfangen.«
»Ich war mein Leben lang Ziel deiner Witze, und soll ich dir was sagen, besonders komisch fand ich das nicht.«
Sie blickten einander an. Wenn Richard eine nasse Perücke gehabt hätte, hätte er sie jetzt gegen die Wand geklatscht und seinem Bruder einen Tritt in die Rippen verpasst. Leider waren sie beide zu alt für solche Hahnenkämpfe.
»Deshalb das Gesicht«, sagte Kaldar. »Du hast das für sie getan, damit du im
Weitere Kostenlose Bücher