Seelentraeume
bezaubernde Geschichte aus ihrer Vergangenheit zum Besten, und das halbe Dutzend weiterer Gäste hing förmlich an ihren Lippen. Sich zu entschuldigen kam nicht infrage.
»Dann habe ich ihm gesagt, dass ich es ihm entsprechend vergelten müsse, falls er sich zu einer derartigen Ungezogenheit herablassen würde …« Dero Gnaden schienen, bis auf gelegentliche heimliche Seitenblicke in Charlottes Richtung, vollständig von ihrer Anekdote in Anspruch genommen.
Das Jucken musste das Ausmaß einer Folter angenommen haben, denn Angelia hatte die Fassade der aufmerksamen Zuhörerin inzwischen aufgegeben und biss sich auf die Zähne. Schweiß trat auf ihre Stirn. Die Krankheit erreichte ihren Höhepunkt, Charlotte hatte sie in aller Stille verschlimmert. Jede andere Frau hätte sich entschuldigen lassen und wäre daheimgeblieben, Angelia jedoch wollte zu dringend die Stufen des gesellschaftlichen Erfolgs erklimmen. Sie war niederer Adel, von gewöhnlicher Abkunft und hatte wenig vorzuweisen – eine Einladung zum Tee bei der Herzogin der Südprovinzen konnte sie unmöglich ausschlagen.
Charlotte nippte an ihrer Teetasse. Der raffinierte, mit einem Schuss Zitrone und einem Hauch Minze verfeinerte Geschmack war einzigartig erfrischend. Sie musste Lady Olivia dringend um das Rezept bitten.
»Und dann habe ich ihn geohrfeigt«, verkündete Dero Gnaden.
Die Frauen am Tisch schnappten nach Luft, einige aufrichtig verblüfft, andere, wie Charlotte, aus Pflichtgefühl.
»Ich bitte um Entschuldigung«, presste Angelia hervor. Dann sprang sie auf und floh vom Tisch.
Entsetztes Schweigen erfasste die Versammlung.
»Nun«, sagte Lady Olivia.
»Mit Ihrer Erlaubnis, Dero Gnaden, sehe ich mal nach ihr.« Charlotte legte ihre Serviette zusammen.
»Aber natürlich, meine Liebe.«
Charlotte stand auf und eilte zum Waschraum. Hinter ihr wollte Lady Olivia wissen: »Wo war ich stehen geblieben?«
»Ihr habt ihn geohrfeigt«, sprang Sophie ihr bei.
»Ah ja …«
Charlotte verließ derweil die Veranda, durchquerte den Wintergarten und blieb vor dem Waschraum stehen. Durch die Tür vernahm sie hysterisches Schluchzen. Perfekt.
Charlotte ließ einen Schlüssel aus dem Ärmel gleiten, schloss auf und ging hinein. Angelia erstarrte. Sie stand vor dem Spiegel, die Tunika hatte sie achtlos fallen gelassen. Ihr Körper war mit hellroten Blasen übersät, manche daumennagelgroß und von kleineren Geschwüren umgeben wie Übelkeit erregende Sternbilder. Manche waren aufgebrochen und eiterten.
»Oh große Göttin«, flüsterte Charlotte und schloss die Tür.
Ein Sturzbach von Gefühlen ergoss sich über Angelias Gesicht: Entsetzen, Entrüstung, Wut, Scham, Besonnenheit … Sie schwankte, versuchte das richtige Gefühl zu finden, das ihr am ehesten zum Vorteil gereichte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, doch Charlotte konnte es genau erkennen. Angelias hübsches, oft leeres Gesicht barg einen strategischen Verstand. Charlotte musste außerordentlich vorsichtig sein.
Dann schlug sich Angelia die Hände vors Gesicht und heulte. Die passende Gefühlsäußerung, um Mitleid zu erheischen. Charlotte schloss die Faust um den Schlüssel. Angelia hatte Dutzende Frauen der Möglichkeit beraubt, Mutter zu werden. Könnte sie sie doch nur töten. Oh, könnte sie nur, wie sie wollte.
»Hey, hey, ganz ruhig.« Charlotte nötigte sich einen beruhigenden Tonfall ab. »Alles ist gut.«
Heulend wie ein hysterisches Täubchen beugte sich Angelia über das Waschbecken. »Oh, Lady al-te Ran, sehen Sie nur.«
Sehr dramatisch. »Kennen Sie diese Krankheit?«, fragte Charlotte.
Die Frau schluchzte. »Jetzt habe ich es auch schon am Hals. Sodass jeder es sehen kann.«
Nettes Ausweichmanöver, Mylady, wird Ihnen aber nichts bringen
. »Sie tragen Spitze aus Rohseidenfasern. Rohseide kann die Hafenfäule verschlimmern.«
Angelia erstickte fast an ihren Tränen.
Schon gut, ich weiß genau, wie du dir diese Wundmale eingefangen hast
. Sie schlief mit Brennan, der allem Anschein nach der besitzergreifende Typ war. Daher war sie vermutlich seine einzige gegenwärtige Liebschaft, aber bestimmt nicht seine einzige Unterhaltung. Brennan hatte sicher eine Professionelle besucht und Angelia anschließend diese Krankheit als Geschenk mitgebracht.
»Alles gut.« Charlotte gab zu zögern vor. »Sehen Sie, das bleibt Ihr Geheimnis. Ich habe auch eines. Wenn Sie mir versprechen, es für sich zu behalten, helfe ich Ihnen mit Ihrem. Werden Sie das tun, Angelia?«
Die
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