Seelentraeume
gärtnerischen Eigenarten von Orangen.
Brennan verkniff sich ein Gähnen, beugte sich vor … und nahm endlich das Album.
Lady Olivia warf Charlotte einen Blick zu und kaute genüsslich auf einem Keks.
»Was für ein exquisites Buch«, sagte Brennan, offenbar erleichtert, die Unterhaltung in Schwung bringen zu können. »Sind das Mitglieder Ihrer Familie?«
»Nein, Mylord.« Charlotte nippte an ihrem Tee. »Das sind meine größten Triumphe als Heilerin. In Wahrheit sind wir ein eitler Haufen.«
Brennan blätterte um und zuckte zusammen. »Um Himmels willen, dieses Kind ist ja furchtbar verbrannt.«
»Ein Unglücksfall«, nickte Charlotte. »Die Kleine war in einer Scheune gefangen, als ein Buschfeuer auf ihr Dorf übergriff. Wenn Sie umblättern, werden Sie sehen, dass es ihr erheblich besser ging, nachdem ich mit ihr fertig war. Verbrennungen kann man nur schwer vollständig heilen, bei ihr konnten wir trotzdem einen bescheidenen Erfolg verzeichnen.«
Brennan schlug die Seite um. »Verblüffend.«
»Sie stellen Ihr Licht unter den Scheffel, meine Liebe«, murmelte die Herzogin.
Brennan musste sich unbedingt das ganze Buch anschauen. »Ich glaube, weiter hinten sieht man einen noch schlimmeren Fall.«
Brennan blätterte. Weiter. Weiter. Dann erstarrte seine Hand.
Treffer.
»Dieser Mann.« Brennan drehte das Album um und hielt es ihr mit einer Hand so hin, dass sie hineinsehen konnte. Ein Bild von Richard blickte sie an. Er sah ein paar Jahre jünger aus. Das Haar war länger, doch das Bild sah dem Steckbrief des Jägers unverkennbar ähnlich.
In Brennans leiser Stimme schwang ein eiserner Befehlston mit. »Erzählen Sie mir von diesem Mann!«
Lady Olivia hob die Augenbrauen. Charlotte beugte sich vor und besah sich das Bild. »Das ist aber keiner der schlimmen Fälle.«
»Bitte, haben Sie Nachsicht mit mir.«
»Na gut. Der Mann war Soldat, einer von der extrem gefährlichen, hinter den Linien kämpfenden Sorte. Sie wissen schon, jene Soldaten, die man mit nichts als einem Messer und einem Stück Seil im Wald aussetzt und eine Woche später wieder einsammelt, nachdem sie im Alleingang eine ganze Legion Feinde ausgelöscht haben. Er war sehr schwer verwundet, Leber und Nieren waren von einem Speer durchbohrt worden. Als man ihn zu mir brachte, war er schon nicht mehr ansprechbar. Er zählte nur immer wieder die Höhepunkte seines Lebens auf – dass er für seine Einheit ausgewählt worden war, einen Sohn hatte und Lord Maedoc ihn mit der Tapferkeitsmedaille auszeichnen wollte.«
»Sind Sie sicher?« Brennans Miene war jetzt völlig ausdruckslos.
»Ja. Fieber stellt seltsame Dinge mit dem Verstand an. Immer wieder sprach er von den Augen seines Sohnes und Lord Maedocs Haltung. Ich glaube, er sollte nach der Verleihung einige Zeit mit dem Lord verbringen und sah darin den Höhepunkt seiner Dienstzeit. Es dauerte ungefähr sechzehn Stunden, bis er geheilt war. Ich fühlte mich danach total erschöpft und musste mich ausruhen. Als ich am nächsten Tag nach ihm sehen wollte, hatten ihn Soldaten mitgenommen.«
»Maedoc?«, wiederholte Brennan. »War er ihr kommandierender Offizier?«
»Ja. Ich war aufgebracht, dass das College ihn hatte gehen lassen – der Mann war wirklich nicht transportfähig –, also ließ ich mir vom Personal den Entlassungsschein bringen, um mir das Siegel darauf anzusehen. Ist das denn wichtig?«
»Überhaupt nicht.« Brennan klappte das Album zu und wandte sich Lady Olivia zu. »Sie sprachen soeben von Orangen, Euer Gnaden.«
Richard musterte sich im Spiegel. Der Mann, der zurückblickte, sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Ein gestohlenes Gesicht, gestohlene Klamotten, das Schwert eines anderen. Werkzeug, sagte er sich. Werkzeug seiner Zunft. Charlotte liebte ihn trotzdem. Sie liebte
ihn
.
Jemand hämmerte heftig an die Tür. Sein zweiter Vetter Kolin sah ihn an. Richard nickte. Kolin riss die Tür auf.
Brennan stapfte hinein, rannte Kolin fast über den Haufen. Seine Miene strahlte grimmige Entschlossenheit aus. Hinter ihm blieb Rene mit aschfahlem Gesicht unter der Türe stehen.
»Nimm dein Schwert und komm mit«, rief Brennan.
»Ist was passiert?«
»Nimm dein Schwert, Casside!«
Richard band sich das Rapier um. Brennan machte auf dem Absatz kehrt und marschierte hinaus. Richard folgte ihm, lief mit Riesenschritten neben Rene den Korridor hinunter. Sie erklommen die Leiter, durchquerten einen weiteren Flur und betraten schließlich einen Aufzug aus Metall und Glas.
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