Seelentraeume
nachgedacht, konnte sich aber immer noch keinen Reim darauf machen.
Dann sah er Jack hereinschneien. Er huschte still zwischen Gruppen von Gästen hindurch, sodass niemand ihn überhaupt bemerkte. Als wäre er unsichtbar. Im nächsten Moment blieb er neben ihm stehen. »Hallo, Hackfresse.«
»Na, Blödmann.«
»Kannst du es riechen?«
George sah ihn an. »Nö.«
Die letzten drei Stunden hatten sie in dem Raum hinter dem Spiegel zugebracht. Ein Zimmerchen, das meistens vom Personal benutzt wurde und nun leer stand. Zusammen mit Kaldar entfernten sie die kleinen Holzplatten, bis die Rückseite des Spiegels bloß lag. Anschließend kratzten sie die schützende Farbschicht daran ab und sprühten eine Silberlösung auf, um so die reflektierende Oberfläche in schlichtes Glas zu verwandeln.
Kaldar hatte den Geräteschuppen des Spiegels geplündert, und sie hatten vier Barrieregeneratoren an der nunmehr transparenten Scheibe befestigt, ehe sie die Rückseite mit einem Zauberspruch belegten. Solange niemand das Zimmer betrat, würden ihre Machenschaften niemandem auffallen. Aber kaum waren sie fertig, bildete sich Jack ein, nach Chemikalien zu riechen. Normalerweise tolerierte George die Launen seines Bruders, momentan jedoch mussten sie sich um Wichtigeres kümmern.
»Meinst du, es klappt?«, fragte Jack.
»Wenn es nicht klappt, bringe ich ihn selbst um.«
George musste nicht näher erläutern, wen er mit »ihn« meinte. Brennan. Der war die Wurzel des Übels, das ihr Leben zerstört hatte. Zu viele Menschen hatten gelitten, zu viele waren gestorben. Er durfte nicht weiterexistieren.
»Genau«, sagte Jack. »Dann machen wir’s gemeinsam.«
Auf der anderen Seite betrat Richard den Saal und sah Rene und Angelia in einer Ecke zusammenstehen. Umgehend schlug er die Gegenrichtung ein und postierte sich an einer Säule.
Als der Große Than, mit der Marchesa am Arm, in die Vorhalle kam, erstarben alle Gespräche. Der ältere Mann führte seine Zukünftige an ihren Tisch im Zentrum des Saals. Sie nahmen Platz. Mit den anderen Blaublütigen folgte ihm auch Brennan und setzte sich mit ernstem Gesicht an einen der benachbarten Tische.
Jack fletschte flink wie ein Klappmesser die Zähne und verbarg sie wieder.
»Komm.« George stieß sich von der Säule ab, und gemeinsam gingen sie zu ihren Plätzen neben der Herzogin der Südprovinzen an dem ihnen zugewiesenen Tisch.
»Jungs«, begrüßte sie die beiden.
»Mylady.« Beide verbeugten sich.
»Setzt euch bitte.«
Sie nahmen Platz.
»Wie läuft’s?«, erkundigte sie sich leise.
»So weit, so gut«, antwortete George. Ihr Hauptproblem bestand darin, dass Brennan ein unberechenbarer Gegner war. Der Mord an Maedoc hatte das gezeigt. Was sie vorhatten, sollte ihn das Gleichgewicht verlieren lassen und aus der Bahn werfen. Wenn es so weit war, würde er sich in eine menschliche Abrissbirne verwandeln, die alles zerschmetterte, was ihr in die Quere kam.
Mit großen Schritten betrat ein hochgewachsener Mann in der Uniform der Schlosswache das Podium im Saal. »Mylords, Myladys, dürfte ich um einen Moment Aufmerksamkeit bitten?«
Schweigen senkte sich über die Versammlung.
»Mein Name ist Celire Lakita, ich bin der Sicherheitschef von Pierre de Rivière. Heute Morgen ist auf diesem Anwesen ein Mord geschehen.«
Niemand schnappte nach Luft. Alle hatten die Neuigkeit bereits vernommen.
»Aber ich will Ihnen versichern, dass Ihrer aller Sicherheit nicht gefährdet ist.« Celire hielt kurz inne. »Wir wissen, dass der Mord sich auf dem Oberen Nordturm ereignet hat. Und dass vier Angreifer beteiligt waren. Und wir kennen das Motiv und den Verantwortlichen.«
George konzentrierte sich auf Brennan. Der große Mann saß vollkommen reglos, sein Gesicht glich einer Maske aus Eis.
»Ich werde mich nun direkt an die Mörder wenden.« Celire betrachtete die Versammlung. »Wir wissen, wer Sie sind. Seien Sie versichert, dass dieser Fall bis zum Abend gelöst sein wird. Jeder Fluchtversuch ist sinnlos – Sie werden die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen in der Halle bemerken. Sie haben bis zum Abend Zeit, es sich leichter zu machen und einen Rest Würde zu bewahren. Wenn Sie nicht kooperieren, werden es Ihre Mitverschwörer tun. Ich bin kein sehr barmherziger Mann und werde es von Minute zu Minute weniger. Der Rest von Ihnen kann nun getrost das Mahl genießen.«
Damit stieg er vom Podium.
Der Saal brummte, als gleichzeitig ein Dutzend Gespräche anhoben. Eine sorgfältig
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