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Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Abend denke, finde ich, dass Sie bemerkenswert schwer zu säubern sind.«
    »Bestimmt gibt es darauf eine anständige Erwiderung«, sagte er. »Bloß fällt mir gerade keine ein.«
    Sie gelangten in die Mitte der Gasse. Auf dem schmutzigen Pflaster saß ein Obdachloser, eine traurige, gebeugte, in Lumpen gehüllte Gestalt. Die Haare hingen ihm fettig und wirr ins Gesicht. Aus seinen Kleidern stieg der scharfe Gestank faulender Fische. Er sah alt und müde aus, sein Gesicht ein Chaos aus Dreck. Die Schmutzschicht war so dick, dass sie sein Gesicht kaum erkennen konnte, milchig weiße Pupillen blickten sie an. Offenbar litt er am grauen Star.
    Der Bettler hob seinen Becher und schüttelte ihn vor Richard.
    Richard warf einen Blick auf den Bettler. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, doch seine Augen wurden dunkler. Richard bückte sich und warf eine Münze in den Becher. »Dritter Zahn«, zischte er kaum hörbar. »In zwei Stunden. Bring deinen Bruder mit.«
    Der Bettler zog den Becher zurück und ließ den Kopf noch mehr hängen.
    Richard richtete sich auf und packte Charlottes Ellbogen. Sein Griff war nicht sehr fest, trotzdem erkannte sie, dass sie nicht weglaufen konnte. Richard zog sie von dem Bettler weg, tiefer in die Gasse hinein.
    »Nicht zurücksehen«, murmelte er. »Das war George.«
    Der Drang, sich noch mal umzudrehen, war überwältigend. »George Drayton? Éléonores George?«
    Er nickte.
    Ihr Herz schlug schneller. Sie musste den Jungen sagen, was mit Éléonore passiert war. Schließlich war sie ihre Großmutter. Sie verdienten, es zu erfahren. Doch die Aussicht darauf schnürte ihr die Kehle zu. Was sollte sie sagen? Sie konnte diesen Schlag unmöglich abmildern. Er würde verheerend auf sie niederfahren. Sie war eine erwachsene Frau, doch Éléonores brennender Körper hatte auch in ihr Leben ein Riesenloch gerissen, das mit Trauer, Schuld und Zorn gefüllt war. Die Jungen jedoch waren noch Kinder, und sie hatten Éléonore ihr ganzes Leben lang gekannt. Sie war der sichere Hafen ihrer Kindheit gewesen, der einzige Mensch außer ihrer Schwester, der sie bedingungslos geliebt und niemals im Stich gelassen hatte. Sie hatte ihre Welt sicherer gemacht, und nun würde sie ihnen diese Illusion der Sicherheit nehmen müssen. Charlotte schluckte. Irgendwie musste sie die richtigen Worte finden.
    Dann erst ging ihr so recht auf, dass George dort im Straßenkot saß. »Wieso ist George wie ein Bettler angezogen? Ich dachte, die Camarines hätten die Kinder adoptiert.«
    »Er und sein Bruder arbeiten für den Spiegel.«
    Sie sind Spione? Moment mal. »Aber George ist erst sechzehn, Richard. Und Jack dürfte gerade mal vierzehn sein.«
    Er ließ sich eine Sekunde Zeit, um sie anzusehen. »Und?«
    »Sind sie nicht viel zu jung? Sie sind doch kaum mal Teenager.«
    »Manche Kinder sind nicht so kindlich, wie wir es gerne sehen würden«, gab er zurück. »Als ich so alt war wie George, hatte ich schon zwei Männer getötet und gesehen, wie der Kopf meines Vaters explodierte, als er auf einem Marktplatz erschossen wurde. Was haben Sie mit sechzehn gemacht, Charlotte?«
    Das Feld füllte sich mit Jammergestalten aus ihrer Erinnerung. Der Kupfergeruch von Blut, in den sich der Gifthauch verzerrter Magie und der Gestank von Qualm mischten, der über der Stadt einige Felder weiter aufstieg.
    »Mit sechzehn habe ich die Opfer des Green-Valley-Massakers geheilt.«
    »Und George ist unauffällig …«
    Da schoss vor ihnen ein Junge in die Gasse, schlitterte über Abfälle, fing sich und rannte dann in ihre Richtung. Kurz geschorenes, rotbraunes Haar, hübsches Gesicht, dunkle Augen, die vor Aufregung weit aufgerissen waren. Charlotte hatte den Jungen schon mal auf einem Foto gesehen … Jack!
    »Lauf!«, schrie Jack. »Lauf, George! Los!«
    Hinter ihm ergoss sich eine wütende, Messer und Knüppel schwingende Meute in die Gasse.
    George der Bettler sprang auf. »Was hast du getan?«
    »Da ist er!«, brüllte der Kerl an der Spitze der Meute. Ein Stein sauste an ihren Köpfen vorbei und prallte von der Hauswand neben ihnen ab.
    »Lauf!«, schrie Jack.
    Aus der Menge löste sich ein blauer Blitz, den irgendwer geschleudert hatte.
Oh nein
.
    Jack sprang fast zwei Meter in die Höhe, entging dem Lichtband des Blitzes um Haaresbreite, stieß sich von der Mauer ab und hielt dann genau auf sie zu.
    »Hi, Richard, hi, schöne Dame!« Damit schoss Jack an ihnen vorüber.
    Richard griff nach ihrer Hand. »Wir müssen hier

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