Seelentraeume
weg!«
Im Laufschritt jagten sie hinter Jack her, kamen auf dem Kopfsteinpflaster schnell voran. George fluchte und schleuderte über ihre Köpfe irgendwas nach der Meute. Hinter ihnen krachte es trocken. Charlotte warf einen Blick über die Schulter. In der Gasse stand eine dicke, weiße Rauchwolke. Menschen husteten.
Der blau leuchtende Lichtbogen eines Blitzes schoss aus dem Qualm und streifte das Pflaster. Irgendwer warf aus der Meute heraus mit Blitzen um sich. Diese Stadt war verrückt.
Sie überquerten den Hof und die enge Gasse, gelangten auf die Strandpromenade und rannten die Straße entlang. Sie passierten den Eingang zu Jasons Versteck. Die Luft in Charlottes Lungen brannte.
Links ragte eine kleine Holztür ins Bild. »Nach rechts!«, brüllte Richard viel zu laut und sprang im nächsten Moment von der Promenade ins schwarze Wasser und zog sie hinter sich her. Die lauwarme Brühe verschlang sie. Charlotte schluckte einen Mundvoll Salzwasser und musste sich beinahe übergeben. Nur die Götter wussten, womit das Wasser vergiftet war.
Charlotte trat Wasser, kam an die Oberfläche, spuckte. Als neben ihnen zwei weitere Körper in den Kanal klatschten, zog Richard sie unter die Mole, während George und Jack eine Sekunde später prustend wieder auftauchten. Zwischen schmutzigen Schaumflocken und Abfall drängten sich die vier mit dem Rücken gegen die Kanalwand unter die Mole.
Die Verfolger strömten auf die Promenade. Charlotte hielt die Luft an.
»Sie sind nach rechts!«, brüllte jemand. »In die Reed Alley!«
Über ihnen trampelten Stiefel, von den Bohlen der Promenade tropfte Wasser auf ihre Köpfe.
Das schmutzige, nasse Geschöpf namens George hob eine Hand, warf seinem Bruder einen mörderischen Blick zu und fuhr sich mit dem Daumen über die Kehle. Jack grinste.
Aus den Tiefen rechts von Charlotte schwappte ein toter Fisch an die Oberfläche. Bah. Mit den Fingerspitzen schob sie ihn vorsichtig weg.
Dann liefen die letzten Nachzügler vorbei, der Lärm der Meute ließ nach. Richard watete nach links, bewegte sich schnellen Schritts an der Kanalwand entlang. Charlotte überzeugte sich, dass die Jungs mitkamen, dann stapfte sie hinter ihm her.
Fünfzehn Minuten und zwei Kanäle später kletterten sie auf die Uferpromenade zurück. Jack schüttelte sich. In Strömen ergoss sich Schmutzwasser aus Georges Lumpen. Seine Haare trieften. Mit grimmigem Gesicht starrte er seinen Bruder an. Wenn Blicke töten könnten …
Charlotte verschluckte sich, schnappte nach frischer Luft, fand aber keine. Ihre durchnässten Kleider rochen nach fauligem Seetang. In ihren Schuhen stand Wasser, unter den Zehen ihres linken Fußes steckte etwas Schleimiges fest.
Als Richard in einer neuen Gasse verschwand, folgte sie ihm, unter quatschenden Geräuschen humpelte sie übers Pflaster. Die Jungen bildeten die Nachhut.
Während der nächsten zehn Minuten sprach keiner ein Wort, bis Richard vor einem Lagerhaus stehen blieb. Eine kleine Holztür flog auf. Vor ihnen trug eine Frau einen Metalleimer mit blutigem Wasser auf die Straße hinaus. Dann schüttete sie den Inhalt in den Kanal.
Großartig. Fantastisch. Wenn sie erst mal in Sicherheit waren, würde sie alle auf Infektionen untersuchen.
Richard hielt die Tür auf, seine Blicke suchten die Strandpromenade ab.
Charlotte huschte hinein und fand sich in einer großen Sporthalle wieder. Männer und Frauen, halb nackt, schlugen und traten schwitzend auf schwere Sandsäcke ein. Auf Strohmatten trainierten ein Mann und eine Frau mit scharf modellierten Muskeln. Zwei weitere Kämpfer nahmen mit erhobenen Händen in dem auf einem Holzpodest abgezirkelten Boxring Aufstellung. Über den muskulösen Körpern hing Lärm: die Trommelwirbel heftig bearbeiteter Boxbirnen, dumpfe Schläge gegen größere Sandsäcke, gutturales Gebrüll, rhythmische Atemstöße.
Charlotte trat einen Schritt vor. Alles erstarrte. Über die Sporthalle senkte sich vollkommene Stille. Die Kämpfer sahen sie wie ein Mann an. Keiner machte ein freundliches Gesicht.
Nicht gut. Charlotte straffte die Schultern und hob den Kopf. Hinter ihr holte Jack tief Luft.
Dann kam Richard durch die Tür und schritt ihr voran, die Feindseligkeit ringsum schien er nicht zu bemerken.
Plötzlich löste sich ein übergewichtiger Mann mittleren Alters vom Boxring und näherte sich ohne Eile Richard. Um Haaresbreite unter dem linken Auge zierte eine Narbe sein sonnengebräuntes Gesicht. Das halbe Ohrläppchen fehlte,
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