Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
Vom Netzwerk:
die Wundränder schlecht verheilt und fransig. Abgebissen, dachte Charlotte.
    Wenn es ein Problem gab, würde sie die Jungen nach draußen bugsieren und den Eingang blockieren. So würden sie immerhin ein paar Minuten Zeit gewinnen.
    Richard und der Übergewichtige trafen in der Mitte der Halle aufeinander. Der Mann blickte düster.
    Jetzt geht’s los.
    Dann fiel der Übergewichtige Richard um den Hals, drehte sich um und marschierte zum Boxring zurück. Sofort gingen die Schläge und das Stöhnen weiter. Richard nickte ihnen zu. »Hinterzimmer.«
    Sobald sie unter sich waren, würde sie ihm eine scheuern, nahm Charlotte sich vor. Nein, nein, das würde sie nicht, da es niemals angemessen war, zu körperlicher Gewalt Zuflucht zu nehmen. Andererseits kam sie womöglich mit Notwehr durch. Wenn sie am Ende dieser Reise tot wäre, würden nicht die Sklavenhändler daran schuld sein. Sondern sie würde infolge von Richards Gesprächsunfähigkeit einen Herzanfall erleiden.
    Richard schloss die Tür von Barlos Hinterzimmer und sah sich um: ein langer Tisch, zwei Bänke, ein Waschbecken, daneben eine Gefriertruhe und eine Waage … leer. Barlo hatte diese Kammer als einen von zwei Räumen genutzt, in denen die Boxer sich vor einem Kampf aufwärmen konnten.
    Richards Herzschlag verlangsamte sich. Er hatte in den vergangenen Monaten so viel Lebenszeit mit Warten, Kalkulieren und Beobachten vertan. In aus Aufregung und Gefahr geborenen Momenten wie diesem, wenn er sich mit einem Gegner maß und sein Leben auf Messers Schneide stand, fühlte er sich wahrhaft lebendig. Er liebte es, wenn sein Herz hämmerte, die Welt heller wirkte und sein Erleben geschärft schien.
    »Richard!«
    Er drehte sich um.
    Charlotte sah ihn an. Die nasse Tunika klebte an ihrem Körper, und ihr Haar, das sie zu einem hübschen Knoten hochgesteckt hatte, hatte sich gelöst und hing ihr ins Gesicht. Ihr distanziertes, kultiviertes Auftreten war verschwunden, als hätte jemand einen Eimer Wasser über einer eleganten, bis aufs Haar gepflegten Katze ausgeschüttet. Ihre Miene verriet ebenso viel Entsetzen, Empörung und Gewaltbereitschaft.
    Wenn er jetzt lachte, würde sie ihn vermutlich umbringen. Buchstäblich.
    Charlotte tat den Mund auf, schloss ihn wieder, öffnete ihn erneut …
    Er strengte sich an, ernst zu bleiben. »Mylady?«
    »Worte.«
    Sie schien kurz davor, die Nerven zu verlieren und einen Schreikrampf zu bekommen. Besser Vorsicht walten lassen. »Worte sind gut«, pflichtete er ihr bei.
    Sie hob die Hände. »Ich würde Sie am liebsten schlagen.«
    Richard hätte sich fast vor Lachen gekrümmt. Er hatte diesen Ausbund an Aristokratie zu roher Gewalt verleitet. Vermutlich war der Kanal der Grund. Oh, welche Demütigung. »Mir ist klar, dass das Wasser nicht das sauberste ist, aber wir hatten keine andere Wahl.« Dann ließ er die Maske ein Stückchen sinken und lächelte. »Ich verspreche Ihnen, alles wird gut. Ehe Sie sich’s versehen, sind wir im Warmen und Trocknen.«
    »Der Kanal ist mir scheißegal. Einfach Worte, Richard, wie
Wir sind in Sicherheit
oder
Die werden uns nichts tun
oder
Er ist ein alter Freund
.« Und mit wütendem Gesichtsausdruck fügte sie hinzu: »Irgendwas! Ich dachte, wir beziehen Prügel.«
    Prügel? Hier? Bei Barlo? Glaubte sie denn, er würde sie irgendwohin bringen, wo sie nicht sicher war? »Natürlich waren Sie in Sicherheit. Schließlich habe ich Sie hierher gebracht.«
    »Sie haben mich auch zu Jason gebracht, wo Sie mit Ihrem Schwert im Arm geschlafen haben.«
    Oh, also wirklich. Er trat einen Schritt auf sie zu. »Ich versichere Ihnen, werte Dame, dass Sie vollkommen sicher waren. Wenn jemand Sie betatscht hätte, wäre er seine Griffel los gewesen. Und das war jedem dort klar.«
    Charlotte ballte die Fäuste. »Argh!«
    »Ich versuche nur, etwas klarzustellen.« Er wusste, dass er jetzt besser Ruhe gegeben hätte, doch die Vorstellung, er könnte so dämlich sein, sie in Gefahr zu bringen, ärgerte ihn maßlos. »Sie wollen also, dass ich Ihnen mitteile, ob wir in Gefahr schweben oder sicher sind. Aber Ihnen ist schon klar, dass ich vielleicht nicht jedes Mal dazu komme, Sie rechtzeitig zu warnen?«
    Charlotte ließ sich auf eine der Bänke fallen. »Damit würde ich mich dann schon abfinden.«
    Richard konnte nicht an sich halten. »Es mag sich schrecklich anhören, aber hin und wieder müssen Sie sich womöglich auf Ihr eigenes Urteil verlassen. Wenn wir zum Beispiel vor einem Lynchmob davonlaufen,

Weitere Kostenlose Bücher