SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
Überwindung gekostet auf den Friedhof zu gehen. Zum Grab seines Bruders und zu dem seiner Eltern, die ihm so verzweifelt nachgefolgt waren. Noch immer atmete die Stadt stillen Hass. Noch immer waren die Heldentaten in martialischen Bildern verherrlicht, an Häuserwände gemalt, noch immer roch man förmlich die Wunden, die hier über so viele Jahre geschlagen worden waren. Es würde nie wieder ein Zurück geben. Die Kluft mochte irgendwann heilen, doch sie würde unter der Narbe weiter existieren. Solange, bis sich in ferner Zukunft eine Generation nicht mehr daran erinnern wollen würde, wie es zu all dem gekommen war. Manchmal, so dachte er, würde es ebenso viele Jahrhunderte brauchen diesen vergifteten Ast der Gewalt abzuschlagen, wie er Jahrhunderte lang gewachsen war. Stille Bitterkeit überkam ihn.
So viele Tote, so viel Leid.
Oft hatte er darüber nachgedacht, warum Gott so etwas zuließ. Wie er dabei zusehen konnte, dass sich seine Kinder, nach seinem Ebenbild geschaffen, diese Dinge in seinem Namen antaten. Oder saß Gott schon längst in einer Eckkneipe des Universums und betrank sich allabendlich, weil seine Schöpfung solch ein verdammter Reinfall geworden war? Ian musste kichern, als er sich einen Gott vorstellte, der zusammengesunken auf einem Barhocker klebte, müde in den Spiegel blickte, sich selbst zuprostete und sich mit den anderen Göttern um ihn herum ganz fest vornahm, beim nächsten Mal alles besser zu machen. Aber erst nach der nächsten Runde, denn der große Zeus wollte just ´ne Flasche Tequila für alle schmeißen.
Er ließ Sligo hinter sich.
Was wohl aus seinem Bruder hätte werden können? Aufgeweckt war er gewesen, ein Träumer. Vielleicht wäre Irland mit ihm Fußballweltmeister geworden? Der erste Ire auf dem Mars. Vielleicht hätte er ein Heilmittel gegen Krebs gefunden und der Wichser, der damals die Sprengladung in dem Bäckerladen platziert hatte, hätte eine Tochter, die jetzt daran verrecken musste. ›Warum fickt sich die Menschheit eigentlich immer selbst ins Knie?‹, dachte er grimmig.
Er sah auf die Glock 9mm neben sich auf dem Beifahrersitz. Fünfzehn Schuss, eine im Magazin und einen Schalldämpfer dazu. In Belfast bekam man solche Dinge immer noch wie geschnitten Brot.
Er kurbelte das Seitenfenster herunter. Wie ungewöhnlich warm es geworden war. Er legte eine CD ein und drehte die Lautstärke hoch. Der imposante Sound von Keyboards setzte ein. Where the Streets have no Name! Sein Bruder war an jenem Tag gestorben! Daran konnte auch Bono Vox mit seinem Rosenkranz und seinen hübschen Liedern nichts ändern.
Am Rand der Welt
Liran hatte ein Machtwort gesprochen, nachdem so ziemlich jeder sich seinen Mantel überwerfen wollte, um auf Schatzsuche zu gehen. Es hätte nur noch gefehlt, dass jemand nach einer Spitzhacke und einer Schaufel gefragt hätte. Doch seine Worte und sein Blick hatten sie unmissverständlich wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.
Es war klar, wer gehen würde: Er und Nilah. Ihr Vater würde nicht ohne seine Tochter gehen, Morrin nicht ohne Daan. Und Atticus Finch blieb der Einzige, der sie führen konnte, denn Liran hatte mit einem intensiven Blick dafür gesorgt, dass er nicht auch noch den Ort des Tempels ausplauderte und sie damit alle in Gefahr brachte.
Er verabschiedete sich von den De La Rosas und bedankte sich aufrichtig für ihre Gastfreundschaft. Selma hingegen drückte ihn innig und flüsterte ihm Segenswünsche ins Ohr.
Der Bretone schien hin- und hergerissen. Er sah aus, als fühlte er sich wie eine Ratte, die das sinkende Schiff verließ und dennoch wie jemand, der froh darüber war. Liran gab ihm die Hand und packte fest seine Schulter.
»Fahr nach Hause, Jean Luc. Das hier ist nicht länger dein Weg. Geh zurück zu deiner Frau und deinen wunderbaren Kindern. Ich danke dir für alles, was du getan hast, und ich wünschte, ich könnte es dir irgendwie vergelten, so aber müssen meine Worte vorerst reichen.« Der Bretone sah ihm lange in die Augen und Liran erkannte Zweifel in ihnen.
»Wird es noch eine Welt geben? Eine Zukunft? Was ...«
»Sie wird nicht scheitern«, flüsterte Liran, der Jean Lucs Augen zu Nilah wandern sah. Er ließ die magischen Zeichen des Feuers über sein Gesicht fließen und der Bretone wich unwillkürlich zurück, aber Liran hielt ihn fest.»Noch stehe ich zwischen dem Anfang und dem Ende und ich werde es nicht zulassen, dass ihr irgendjemand etwas antut.« Jean Luc nickte
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