SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
tuckerten, oder sie von einem Öltanker über den Haufen gefahren wurden.
Er sah sich nach allen Seiten um, denn dieser Gedanke machte ihn plötzlich nervös. Doch er hörte kein Schiffshorn, sah keine Positionslichter und so kletterte er schnell unter Deck um nach Nilah zu sehen. Schließlich hatte er jetzt dafür Sorge zu tragen, dass sie heil nach Irland kam und das wollte er verdammt nochmal auch tun.
Leise kniete er sich neben Nilah und drehte die Gaslaterne etwas heller. Ein Lichtkreis waberte über ihrem noch immer blassen Gesicht, das jetzt aber friedlich und entspannt wirkte. Jean Luc nickte zufrieden. Schlaf war jetzt das Beste für jemanden, der soviel durchgemacht hatte. Ihre Seele musste sich erst einmal wieder beruhigen. Er fühlte den Puls an ihrem Handgelenk und nahm ein regelmäßiges und, wie er erfreut feststellte, kräftiges Puckern wahr. Als Vater von sechs Töchtern konnte er den Puls wahrscheinlich besser erfühlen als ein chinesischer Akkupunkturmeister. So manche durchwachte Nacht und vierundzwanzig Stunden Dauerunruhe hatten ihn seine Lieben mit ihren Wehwehchen, aber auch ernsteren Dingen gekostet. Er zupfte die Decken wieder zurecht und zog sie etwas höher. Wärme und das Gefühl von Geborgenheit – und wenn es auch nur die Schwere von ein paar Wolldecken war – waren jetzt wichtig für Nilah.
Er drehte gerade die Gasflamme zurück, als ein sanfter Ruck durch das Boot lief und er gedämpft das Segel knattern hörte. Ein letzter Blick und schon war er wieder an Deck und schaute ungläubig auf das Segel, das in einem aufkommenden Wind erst ein wenig unentschlossen träge hin- und herflatterte, als schüttelte man ein Bettlaken aus, sich dann aber mit einem lauten Knall endlich vollends blähte und auch so blieb. Und dann spürte er auch schon, wie die Dünung das Schiff rollen ließ. Sein Herz tat einen Sprung.
Wippend und wie ein Elvis-Imitator mit den Hüften swingend, tanzte er zurück ins Ruderhaus, drehte das Schmuckstück vollends in den Wind und schaltete den Motor aus. Vor lauter Übermut begann er sogar Love me tender zu summen und trommelte den Takt auf das Steuerruder. Und als hätten die Götter ihn erhört oder zumindest einer, der gut mit dem Wetter befreundet war, riss die Wolkendecke auf und die ersten Sterne schwebten zwischen den bauschigen Fetzen wie unverrückbare Bojen der Nacht. So auch der Polarstern.
»Ja!«, stieß er hervor und reckte die Faust, wie ein Tennisprofi nach einem Matchball. Das Leben konnte grausam, gemein und irreal sein, aber in Augenblicken wie diesem hätte er es knutschen mögen. Er sandte einen Handkuss gen Himmel und murmelte ein Danke.
Man konnte wahrscheinlich solch ein kleines Segelboot Jahre durch diese Gewässer steuern und würde selbst eine so große Insel wie Irland nur durch Zufall finden. Eines, so nickte er in seinen Bart, musste man den Seefahrern der Antike lassen. Die hatten Eier in der Hose gehabt!
Nilah schlug die Augen auf. Eine Zeit lang starrte sie nur an die mit Rigips vertäfelte Decke über sich, auf der der kreisrunde Fleck der Lampe wie eine fahle Sonne stand. Hier war Jetzt und Jetzt war Hier. Sie fühlte ein Loch in sich. Ein herausgerissenes Stück Leben. Allein dieser Gedanke ließ sie schwer wie Stein sein. Sie hatte einen fürchterlichen Geschmack im Mund. Sie musste sich dringend die Zähne putzen. Mit viel Kraft zog sie ihren Körper auf die Ellenbogen, sah auf ihre Timex, konnte aber mit der Anzeige, es sei neun Uhr, nicht viel anfangen.
Nilah schlug die Wolldecken beiseite. Es war, als würde sie weniger Luft bekommen, und sie spürte etwas sehr Altes in ihren Gedanken, das wie ein Schatten um ihren Hals lag. Mit ganz ruhigen und bedächtigen Bewegungen zog sie ihren linken Schuh aus, hob die Einlegesohle an und beförderte das kleine, luftdicht verschlossene Tütchen hervor. Fünf kleine Tabletten. Fünf kleine Entscheidungen. Sie drückte die Tüte an den Kanten zusammen und bog damit den Klippverschluss auseinander. Ein leichtes Schütteln und eine der fünf fiel in ihre geöffnete Handfläche. Ohne einen weiteren Gedanken hob sie schnell die Hand zum Mund und spürte, wie das kleine Ding auch schon auf ihrer Zunge lag. Sie nahm die Wasserflasche, die neben ihr lag und spülte sie herunter. Wie einfach es doch war. Sie sah auf das Tütchen, lächelte freudlos und schüttelte eine zweite Tablette heraus.
Eine halbe Stunde lang saß sie nur da und wartete. Als Nilah die vertraute Wirkung endlich
Weitere Kostenlose Bücher