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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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der Klauen, jeden Flügelschlag, als hätte sie selbst Klauen und Flügel. So sehr wurde sie von der Stärke der Magie mitgerissen, dass ihr Körper die Bewegungen unwillkürlich nachahmte.
    Alles schien so langsam vor sich zu gehen, so viel Zeit in Anspruch zu nehmen, aber als das Tor sich schloss, begriff sie, dass nur Sekunden verstrichen waren.
    Und es waren nicht alle Vögel verschwunden. Etwa die Hälfte von ihnen kreiste noch über dem Gebäude und wartete auf neue Anweisungen.
    Leider wusste sie nicht, wie dieser Befehl lauten sollte - aber vermutlich ließ sich das nur auf eine Weise herausfinden.
    Oliver tauchte gefolgt von Lex und kurz darauf von Terrible aus dem wirbelnden schwarzen Nebel auf.
    »Sollen wir Sie nach drinnen begleiten?«
    Chess nickte. Sie wollte jetzt nicht sprechen, weil sie nicht genau wusste, ob sie damit die Verbindung zu den Vögeln kappte, und das wollte sie auf keinen Fall riskieren.
    Sie ließen ein paar Männer zurück, die den Kampf mit den letzten Nachzüglern zu Ende führten, stiegen die schmale, wacklige Stiege zum Eingang hinauf und öffneten die verwitterte Tür.

30
    Was richtig ist, ist auch moralisch, denn so hat es die Kirche
    bestimmt. Was unmoralisch ist, ist ein Gräuel.
    Das Buch der Wahrheit, »Veraxis«, Artikel 336
    Im gleichen Moment, als ihr der Staub in die Nase drang, traf sie die Sexenergie, die drinnen noch stärker war als draußen, mit dem Ergebnis, dass sie heftig schauderte und nieste und Mühe hatte, sich wieder in den Griff zu kriegen. Die Männer sahen sich unbehaglich um, oder wenigstens galt das für Fletcher und Terrible. Wie üblich blieb Lex völlig ungerührt.
    Der Raum, in dem sie standen, musste einmal ein freundlicher Flur gewesen sein. An der gegenüberliegenden Wand brannte eine einsame Kerze in einem eisernen Wandhalter und warf flackerndes Licht auf den schmutzigen Boden. Die Tapete hing in Fetzen von den wasserfleckigen Wänden. An den Fußleisten zogen sich Häufchen von Tapetenresten und Gips entlang.
    Irgendwoher kam Musik, allerdings so leise, dass sie die Melodie nicht erkennen konnte. Sie glaubte, Violinen herauszuhören. Es war irgendein Orchesterstück. Woher es kam, konnte sie nicht ausmachen. Sonst hörte sie nichts. Jede Faser ihres Körpers war zum Zerreißen gespannt, während sie auf Kemp, Vanita und die anderen Geister wartete. Auf alles, was in diesem Haus sonst noch existieren mochte.
    Im Raum zu ihrer Linken gaben die geborstenen Dielen den Blick auf die gähnende Dunkelheit darunter frei. Ansonsten gab es einen in Tuch gehüllten Sessel und einen zerbrochenen Spiegel, der vom Alter blind geworden war und sie wie ein totes Auge blicklos anstarrte.
    Ohne ein Wort steuerten sie auf die einsame Kerzenflamme am anderen Ende des Raumes zu. Hinter ihnen klapperte die Tür in den Angeln.
    Und die ganze Zeit über spürte Chess, wie die Vögel über ihr auf Fluggäste warteten. Sie spürte ihre Gleichgültigkeit. Die Tiere scherten sich nicht um Leben und Tod, ihre Aufgabe war allein das Aufräumen, wenn alles vorüber war.
    Zu ihrer Rechten führte eine Treppe nach oben, deren Handläufe im Kerzenschein schimmerten. Das Holz fühlte sich zwar stabil an, aber die Stufen knarzten.
    Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Die Geister wussten, dass sie hier waren. Und sie war sich sicher, dass auch Kemp und Vanita Bescheid wussten. Es war eine Falle, aber eine Falle, der sie nicht ausweichen durften, wenn nicht noch mehr Menschen draufgehen sollten. Das durfte sie nicht zulassen. Keiner von ihnen wollte das zulassen.
    Natürlich fiel eine solche Entschlossenheit leicht, solange sie noch nicht wusste, was sie am oberen Ende der Treppe erwartete. Als es so weit war, hatte sie Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
    Die Männer keuchten, aber ob das von der Welle sexueller Energie kam oder von dem Anblick, der sich ihnen bot, vermochte Chess nicht zu sagen, und im Moment war es ihr auch völlig egal.
    Aus irgendeinem Grund hatte sie sich vorgestellt, aufrecht stehende Geister anzutreffen. Stattdessen sah sie erst mal lauter Betten, und am Kopf- und Fußende jedes Gestells hingen kabelumwundene Handschellen. Die Geisterfrauen waren an Handgelenken und Fußknöcheln an ihr Bett gefesselt. Der Strom, der durch die Handschellen floss, zwang sie, feste Gestalt anzunehmen; sie wanden sich auf den Matratzen, und ihre Haut wirkte schauerlich blass. Es sah aus, als wären sie aus Mondlicht geschaffen.
    Zehn Frauen lagen da oder vielleicht

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