Seelenzorn
wie ein Zementklumpen.
»Lex«, sagte er mit überraschend normaler und heller Stimme. »Und ’ne Hexe. Komm mal näher, Mädel, dass wir dich in Ruhe anschauen können.«
Sie zwang sich, eine ruhige, sorglose Miene aufzusetzen und trat nahe genug an ihn heran, dass sie seinen überwältigenden Gestank nach Kräutern und ungewaschenem Körper abbekam. Scheiße, der war vielleicht ranzig unter dem vielen Pelz! Kam der überhaupt mal von diesem Dach runter?
Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Sie kam sich vor, als würde sie geröntgt. Endlich nickte er und sah beiseite, wühlte in ein paar Säcken, die er bei sich stehen hatte, und zog schließlich etwas hervor, das er ihr in der ausgestreckten Hand entgegenhielt.
Selbst in dem schwachen Licht, das aus dem Fenster drang, sah sie die dicken Trauerränder unter seinen Fingernägeln und der Nagelhaut und den Schorf an den Fingerspitzen.
Sie griff nach dem Beutel, ohne seine Finger zu berühren, und öffnete ihn. Irgendein Kraut, wies aussah, irgendein ... oh.
Hat Trick erwiderte ihren Blick. »Dir ist doch wohl klar, was du da vor dir hast, nicht?«
Sie nickte.
»n Mädchen hat’s mir gestern gebracht. Gefunden, hat sie gesagt. Bei so was Komischem, hab ich gedacht, rufste mal Slobag an. Auch wir haben läuten hör’n, was passiert ist.« Er neigte den Kopf in Lex Richtung. »Wir haben damit nichts zu tun, damit das klar ist. Wo das gefunden wurde, ist jetzt nichts mehr, und vorher war da auch nie was. Aber wir wissen schon, was das heißen kann, deshalb haben wir angerufen.«
Lex nickte. »Kein Problem, Hat Trick. Alles klar zwischen uns, hm?«
Hat Trick schüttelte den Kopf. »Is’ wohl ’n Problem für dich, weißte nur noch nicht, aber lass es dir mal von der Hexe verklickern.«
Lex sah sie fragend an und hob die Augenbrauen in seinem glatten, scharf geschnittenen Gesicht. »Also, was ist los, Tülpi?«
»Das ist Eibisch.« Tysons Wohnung, Tyson und der Geist, mit dem er sich verbunden hatte. Terribles Hinweis, dass der Metallkasten in der Gasse genau so roch wie Tyson. Nicht nur Ricantha also, sondern auch Eibisch. Geister und Eulen, Psychopomps, Sex und Augen. Es passte immer noch nicht alles zusammen. Aber das hier war ein Puzzleteil, und zwar ein wichtiges, und in ihrem Kopf drehte sich alles.
»Okay, und?«
»Das ist ein Bindungskraut. Es fängt Geister und bindet sie.«
»Benutzt ihr das Zeug nicht andauernd?«
»Nein. Es ist eine Falle. Es schließt die Tür zur Stadt der Toten, oder besser gesagt, es hindert die Seele daran, sich an ihren Psychopomp zu heften. Und deshalb kann sie nicht wieder weg.«
»Es erschafft einen Geist?«
Sie nickte. »Erschafft ihn und hält ihn fest. Hier. Egal wo. Wo immer sie es tun.«
Einen Moment überlegte sie, ob das vielleicht gar nichts mit ihrem Fall zu tun hatte. Überlegte und verwarf es. Sie hatte in der Gasse genau dasselbe gerochen.
Was hatten sie eigentlich vor, dieser Geist und sein Verbündeter? Und wo hatten sie dieses Zeug überhaupt her? Eibisch war hochgradig illegal. Auf den Besitz allein stand die Todesstrafe. Was dem Geist natürlich egal sein konnte.
Sie dankten Hat Trick und stiegen die Treppe wieder hinunter. Auf dem Rückweg kamen sie an Waffen- und Juwelenhändlern vorbei und an einer Bude, wo Schlangen zum Meterpreis verkauft wurden. Chess wollte noch nicht weg. Sie wollte sich den ganzen Markt ansehen, am liebsten Stunden dort verbringen, ohne an die Zeit zu denken. Und sie hatte sowieso keine Lust, jetzt schon nach Hause zu fahren. Allenfalls zu Lex. Dann würde sie bei ihm zwischen die Laken schlüpfen und mindestens eine Woche lang nicht mal zum Luftholen wieder hervorkriechen.
Einen Moment mal. Wessen Gedanke war das gerade gewesen. Eine Woche im Bett mit Lex? Warum um alles in der Welt sollte sie das wollen? Nach spätestens zwei Tagen wäre sie drauf und dran, ihn zu erwürgen.
Aber verdammt noch mal, sich im Bett verkriechen klang im Moment wirklich wie eine fantastische Idee, vor allem, da ihre Haut gerade besonders empfindlich und ihr Blut dicker war als sonst, da sie ständig Herzklopfen hatte und etwas Dunkles, Hungriges ihr die Wirbelsäule hinaufkrabbelte wie ein Skorpion ...
Chess erstarrte und wurde sich plötzlich der vielen Menschen bewusst, die alle fremd waren und unheimlich. Schlagartig begriff sie, dass die Erregung, die sie spürte, nicht ihre eigene war, dass sie ihr schrecklich vertraut vorkam und dass ihr Herz nicht so krass raste, weil sie so geil
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