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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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hüpfte und klatschte ihr gegen den Oberschenkel. Sie schlang den Schulterriemen um die linke Hand und streifte die Tasche ab, wirbelte sie ums Handgelenk, bis sich der Riemen aufgewickelt hatte. Könnte als Waffe noch mal nützlich werden.
    Kerzen in den Fenstern warfen hier und da blasse Lichtflecken auf die feuchten Pflastersteine. In diesen Zimmern lebten Menschen ihr Leben, erzählten sich Geschichten, warfen Drogen ein, fickten oder taten, was immer sie sich in einer eiskalten Nacht wie dieser vorgenommen hatten, und ahnten nicht im Geringsten, dass gerade der Tod an ihrer Tür vorbeipreschte.
    Sie folgten ihm um eine weitere Linkskurve. Die Straße war leer.
    Weg.
    Aber die Magie war noch da, und Chess folgte ihr unbeirrt.
    Der Mörder warf eine Mülltonne um, als er sich um eine Ecke drückte. Sie kam auf sie zugerollt und klang dabei wie ein abgenutztes Getriebe, das sich langsam zu Tode arbeitet.
    Noch eine Straße. Und noch eine. Chess registrierte nebenbei, dass sie sich nach Nordwesten bewegten - auf ihren Orientierungssinn war nach wie vor Verlass -, aber sie begriff nicht, wieso. Hier draußen gab es nichts. Die Gebäude standen weit auseinander und waren noch baufälliger als die auf der Grenze zwischen den Territorien von Bump und Slobag. Die meisten waren nicht einmal mehr richtige Gebäude, sondern nur noch eingestürzte Gemäuer mit leeren Augenhöhlen und klaffenden Mäulern, erschlagene Riesen, halb begraben unter mitleidlosem Schutt.
    Chess stolperte über einen geborstenen Pflasterstein. Sie konnte nicht mehr weiterlaufen, hatte keine Kraft mehr in den Beinen, war völlig außer Atem und konnte kaum noch klar sehen. Aber ihr blieb keine andere Wahl. Sie durfte nicht zulassen, dass Lex ohne sie weiterrannte. Sie hatte ein Messer, ja, aber der Gedanke, auf dieser Straße allein zurückzubleiben ... und zu ahnen, was sich hinter diesen verkohlten, bröckelnden Mauern verbarg ...
    Noch mal nach links, ein kleiner Häuserblock. Jetzt sahen sie ihn wieder vor sich, den Mörder, einen fliehenden Schatten in der Dunkelheit. Es gab hier keine Straßenlaternen mehr, und der Mond war nur eine schmale Sichel. Wie weit waren sie gelaufen? Sie wusste es nicht, aber den Mörder vor sich zu sehen und zu wissen, wie nahe sie dran waren, verlieh ihr noch einmal Kraft. Sie gab sich einen Ruck, verlangte sich mehr ab, als sie je gegeben hatte, ließ den Schmerz hinter sich und stieß auf Hass, der schwarz in ihrer Seele brannte. Hass war rein. Hass war stark.
    Der Mörder bog rechts ab, vielleicht zehn Meter vor ihnen. Sie erreichten die Ecke, hasteten herum und zogen das Messer. Nur ein paar Schritte trennten sie noch, und Chess packte ein Gefühl, als könnte sie den Bastard mit bloßen Händen in Stücke reißen ...
    Nichts. Eine leere Straße. Eine kahle Mauer. Und vor ihnen, die hin und her schwingende Tür von Triumph Citys Haupkrematorium.

11
    Der Körper ist das Gefäß der Seele, nichts weiter.
    Ist die Seele einmal entschwunden, bleibt der Körper als
    leere, nutzlose Hülle zurück, und wir vernichten ihn,
    wie wir alles Nutzlose vernichten: mit Feuer.
    Das Buch der Wahrheit, »Gesetze«, Artikel 801
    Sie wollte da nicht rein. Wollte nicht, wollte absolut nicht.
    Zu dumm, dass ihr keine andere Wahl blieb. Er war dort drinnen und er war ein Mörder, also spielte es keine Rolle, dass sie auf so etwas nicht vorbereitet war oder dass ihr Herz jetzt wie wild vor Angst klopfte und nicht vor Anstrengung. Der Bastard verfolgte sie und würde sie immer weiter verfolgen, und jetzt war ihre Chance gekommen, dem ein Ende zu machen. Sie wäre ein erbärmlicher Feigling, wenn sie sich diese Gelegenheit entgehen ließe.
    Wortlos rückten sie und Lex näher zusammen. Sie hängte sich die Tasche wieder über die Schulter, um sich ein wenig zu panzern, und hielt das Messer bereit. Der Mörder würde sich auf sie stürzen, sobald sie die Tür öffneten - davon ging sie fest aus. Aber wenigstens waren sie darauf gefasst.
    Die Tür hätte abgeschlossen sein sollen. Tagsüber herrschte in dem Krematorium reger Betrieb, obwohl sich nur schwer Leute fanden, die dort arbeiten wollten - der Job war gefährlich. In Triumph City starben jede Menge Leute, und die Leichen wurden aufgrund der Vorschriften so schnell wie möglich in den Öfen entsorgt. Während der Geisterwoche und unmittelbar danach war es zu Zwischenfällen gekommen, bei denen die Geister der Toten versucht hatten, wieder in die fauligen Leichen einzufahren.

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