Seelenzorn
niemand beobachtet? Warum war ihre Anwesenheit erst bemerkt worden, als jemandem das offene Badezimmerfenster aufgefallen war?
Sie sah sich im übrigen Raum um und ließ den Blick über die Schalttafel, die ledernen Bürostühle und den kleineren Schreibtisch mit den ordentlich gestapelten Papierstößen wandern. Ein Regalbrett, das halb mit Funkgeräten gefüllt war, hing an dem schmalen Stück Wand neben der Tür. Darunter stand ein Waffenschrank voller Gewehre.
Taylor drehte ihr den Rücken zu, während er im Haus anrief, um wegen der Befragung die Erlaubnis einzuholen. Chess folgte mit den Augen dem Kabel des Monitors, der die Hausrückseite zeigte, bis unter den Schreibtisch, wo die Rekorder standen. Wahrscheinlich war es schon zu spät, aber trotzdem ...
Die Disc flutschte leise klickend heraus. Während Chess mit gespitzten Ohren auf irgendeine Veränderung in Taylors Stimme lauschte, wühlte sie die Nagelfeile aus der Handtasche und kratzte rasch ein paar tiefe Schrammen in die glänzende Disc. Wahrscheinlich war es egal. Aber ihr war jetzt trotzdem etwas wohler.
Als Taylor sich umdrehte, war die Disc schon wieder an Ort und Stelle, und Chess stand gegen die niedrige, kühle Schreibtischkante gelehnt.
»Okay«, sagte er, und die plötzliche Kälte in seinen dunkelbraunen Augen verriet ihr, dass es ihm nicht passte, was er gerade gehört hatte. Interessant. »Mr Pyle lässt Ihnen ausrichten, dass er sich freut, Sie wieder hier zu haben. Wir sollen Ihnen auf jede erdenkliche Art helfen.«
Dann die Liste, bitte.«
»Hm-hm. Aber verraten Sie mir vorher noch eins, Miss Putnam. Sie glauben doch nicht im Emst, dass Mr Pyle eine Geistererscheinung in seinem eigenen Haus vortäuschen würde, oder? Dass er seiner Frau und seiner Tochter einen derartigen Schrecken einjagen würde, nur wegen des Geldes, das er sowieso nicht nötig hat?«
Sie verzog keine Miene. »Ich will nur helfen.«
»Hm-hm.«
Sie hatte schon früh in ihrem Leben gelernt, Blickduell zu spielen, aber es war kein sehr interessantes Spiel, und in diesem Fall war es ihr die Sache auch nicht wert, sich damit aufzuhalten. »Wollen Sie mir hier Schwierigkeiten machen?«
Er knickte ein, wie sie es auch nicht anders erwartet hatte. »Nein. Ich wollte nur sicher sein, dass Sie wissen, wie ich darüber denke. Mr Pyle ist ein anständiger Mann. Er ist kein billiger Betrüger.«
»Ich werde das im Hinterkopf behalten.«
»Sollten Sie auch. Immerhin bin ich einer von den wenigen Wachleuten, die überhaupt einen Geist gesehen haben, da hören Sie besser auf mich.«
»Dann legen Sie mal los.« Sie drehte einen der Stühle herum und ließ sich hineinfallen. Dann holte sie Notizbuch und Stift hervor und drehte dabei auch den Schalter an dem kleinen Aufnahmegerät in ihrer Tasche.
»Was haben Sie gesehen?«
»Ich war auf der Drei-Uhr-früh-Runde in Mr Pyles Büroräumen gegenüber vom Wohnbereich. Manchmal lässt er da nachts die Fenster offen und schläft dann am Schreibtisch oder auf dem Sofa ein. Mr Pyle arbeitet sehr hart. Also muss ich manchmal reinkommen und ihn aufwecken oder die Fenster schließen und überprüfen, ob alles abgeschlossen ist.«
»Warum? Ich meine, Sie und Ihre Kollegen haben das Grundstück doch ziemlich lückenlos im Auge, oder? Warum überwachen Sie dann auch noch das Hausinnere?«
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Wir sind eben gerne gründlich.«
»Okay, war ja bloß eine Frage. Fahren Sie fort.«
»In dieser Nacht war Mr Fletcher zu Besuch - Sie kennen ihn, oder?«
Als Chess den Kopf schüttelte, seufzte er und nahm sich seinen eigenen Stuhl. »Oliver Fletcher ist der Produzent von Mr Pyles Fernsehserie. Er ist mehr oder weniger Mr Pyles Boss. Aber sie sind auch gut befreundet. Mr Fletcher hat Mr Pyle damals ins Geschäft gebracht, als Mr Pyle noch als Stand-up-Comedian in kleinen Klubs arbeitete. Mr Fletcher hat ihn entdeckt, ihm einen Auftritt in einer der Talkshows verschafft, die er produziert, und ihn immer wieder eingeladen. Dann hat er ihm die Rolle in Kloster gegeben ... und den Rest der Geschichte kennen Sie ja sicherlich.«
Eigentlich nicht, aber sie konnte ihn sich ziemlich gut vorstellen. Roger Pyle schaffte den Durchbruch, Oliver Fletcher hatte eine Serie mit Traumquote, und beide verdienten sich dumm und dämlich.
Sie notierte sich Fletchers Namen in ihrem Notizbuch. Vielleicht sollte sie auch mal einen Blick auf seine Finanzen werfen, wenn er und Pyle tatsächlich so gute Freunde waren.
»Na ja,
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