Seelenzorn
einmal an. Warum? Warum rührte er sich nicht von der Stelle?
Ihre Finger schmerzten. Sie ließ das Handy fallen. Sie konnte es nicht halten, nicht, solange ihre Hand so zur Klaue gekrümmt war.
Wieder brach sie in Tränen aus, heulte und schob sich die Finger in den Mund, ihre ekelhaften Finger, aber ihr blieb keine andere Wahl. Sie würgte und würgte noch einmal. Biss sich auf die Finger und zwang sich, das Handgelenk anzuheben, die Hand auszustrecken. Muss die Finger strecken. Muss sie benutzen.
Der Geist verschwand. Gut. Sie würde das Fenster öffnen müssen. Falls er überhaupt ranging. Falls er wirklich kam. Oh bitte ...
Das Handy wollte einfach nicht aufgehen. Sie fummelte mit den blutenden, speichelverschmierten Fingern daran herum und zerrte mit den Zähnen daran. Geschafft. Ließ es wieder fallen, als der nächste Krampf ihren Körper in einen gekrümmten Ast verwandelte. Hob es wieder auf. Drückte den Knopf.
Bitte ... bitte ... bitte.
Er nahm ab. Stellte Fragen. Sie versuchte zu antworten, zu ihm durchzudringen, ihm zu erklären, wie er hereinkäme.
Und wartete reglos auf dem Boden neben dem Bett.
17
Die Zusammenarbeit eines Menschen mit einem Geist ist
ein schweres Verbrechen gegen die Menschheit,
ein so schwerwiegendes, dass es keine angemessenen Worte
dafür gibt. Und von allen Verbrechen bringt es den
geringsten Gewinn; nichts Gutes kann daraus entstehen.
Das Buch der Wahrheit, »Regeln«, Artikel 178
Sie schwebte irgendwo unter der Decke und blickte auf sich hinunter, auf die winzige, verwahrloste Gestalt, die zitternd an der Wand kauerte. Den Versuch, wieder ins Bett zu krabbeln, hatte sie längst aufgegeben, ebenso wie das Vorhaben, sich die Jeans wieder über die blutenden, überempfindlichen Beine zu streifen. Sie hatte alles aufgegeben. Sie war fort. Verloren im Schmerz.
Monster nagten an ihrem Inneren und zerfetzten ihr mit scharfen Zähen die Eingeweide. Ihr Herz pumpte Benzin durch die Adern. Der kleine Mülleimer in ihren Armen war durch den Hautkontakt heiß und voller Galle. Ihr Beine wollten einfach nicht stillstehen, obwohl sie jedes Mal am liebsten geschrien hätte, wenn sie über den Teppich strichen.
Eine schwarze Gestalt erschien vor dem Fenster. Erst der Kopf, dann die Schultern. Finger schlossen sich um die Unterkante und schoben die Scheibe hoch. Chess wurde wieder in ihren Körper zurückgeschleudert.
Ihr Kopf rollte zur Seite. »Hallo« wollte sie sagen, aber was stattdessen herauskam, war »bitte«.
Spielte offenbar keine Rolle. Sie glaubte nicht, dass er sie gehört hatte. Er schlüpfte durch das Fenster und zog die Leiter nach. Was machte er da bloß? Warum dauerte das so lange?
Er würde ihr nicht helfen. Das war ihr jetzt klar. Er war nur gekommen, um sie auszulachen. Um sie zu verhöhnen. Sie hatte geglaubt... sie hatte geglaubt, dass alles gut werden würde, dass er genug für sie übrig hatte, um ihr zu helfen, aber da hatte sie sich getäuscht, verdammt, und wie sie sich getäuscht hatte.
Er würdigte sie kaum eines Blickes, als er einen Schritt über ihre ruhelosen Beine machte und ins Bad ging. Licht stach ihr in die Augen. Sie machte sie zu und drehte sich weg. Musste er sie denn unbedingt ansehen?
Wasser rauschte. Große Hände auf ihrem Kopf, auf ihren Armen. Er drückte ihr etwas Kühles auf die Stirn und wischte ihr das Gesicht ab. Es fühlte sich gut an. Fühlte sich unbeschreiblich an. »Chess. Komm schon, Chess. Kannste was bei dir behalten?«
Ihre Antwort bestand aus einem Schluchzen. Jetzt, wo er hier war, und jetzt, wo sie wusste, dass er ihr helfen würde, konnte sie nur noch heulen.
»Komm, gib mir das mal.« Der Mülleimer verschwand aus ihren Armen. »Wird alles wieder gut, ja? Halt durch.«
»Ich kann nicht.« Sie kippte nach vorne. Seine breite Brust fing sie ab, so fest, so stark, und sie klammerte sich an ihn. Versuchte, hineinzukriechen, ein Teil von ihm zu werden, damit sie nie wieder alleine sein musste. Sein Mantel war noch kalt, draußen musste es eiskalt sein. »Ich kann nicht, Scheiße, es tut mir leid, vielen Dank, bitte hilf mir, bitte hilf mir, ich danke dir tausendmal ... bitte, Terrible, es tut mir so leid ...«
Er packte sie bei den Schultern und lehnte sie wieder an die Wand. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich jetzt noch schlechter. Sie war wirklich abstoßend, oder? Er konnte nicht mal ihren Anblick ertragen. Zum Glück hatte sie nicht Lex angerufen. Eigentlich hatte sie keine Sekunde daran
Weitere Kostenlose Bücher