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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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Arme. Juckt überall. Hört nicht auf.
    Sie konnte das Schluchzen nicht länger unterdrücken. Ihr Mund öffnete sich, und da kam es heraus, tropfte zusammen mit ihrer Spucke auf den Teppich. Irgendwas krabbelte unter ihrer Haut. Sie war nicht mehr Chess. Konnte sich unter dem Namen nichts mehr vorstellen, hatte keine Verbindung mehr zu sich selbst. Es gab nur noch den Schmerz und die Kälte und das Zittern, nur das brennende Verlangen, dem sie nicht entkommen konnte, das wie eine finstere Gestalt drohend über ihr im Zimmer hing.
    Sie hatte den Nachtisch gegessen, diesen fettigen, schleimigen Nachtisch. Sie sah ihn vor sich, den Teller voll Sahne und Schokolade, und da konnte sie es nicht länger halten.
    Die Badezimmertür war geschlossen. Sie fuhrwerkte am Türknauf herum, während sich ihr Mageninhalt den Weg nach oben bahnte. Sie stürzte zur Toilette und verfehlte sie. Auf die Hände gestützt kotzte sie auf den Boden. Ihre Knie knallten auf die Fliesen. Eine weitere Note in der Symphonie der Schmerzen.
    Die Toilette glänzte weiß neben ihr. Sie zog sich mit den Händen daran empor und lehnte den Kopf gegen das kalte Porzellan. Jetzt war es zu heiß. Ihr ganzer Körper war heiß und geschwollen, als würde ein Windstoß genügen, um sie platzen zu lassen.
    Ihre Hände wanderten die Beine hinunter und kratzten, rissen an der Haut. Ihre Pillen. Sie brauchte ihre Pillen, oh Scheiße, Scheiße, sie brauchte sie unbedingt, sie hielt es nicht länger aus.
    Rasierklingen? Gab es hier Rasierklingen? Sie hätte welche von Arden aus dem Kleiderschrank mitnehmen sollen. Sie hätte sie mitnehmen sollen, dann hätte sie sich jetzt die Kehle aufschlitzen können. Die Totenstadt machte ihr keine Angst mehr, jetzt nicht mehr. Nicht, wenn das Leben aus solchem Schmerz und solchem Verlangen bestand, diesem schrecklichen hilflosen Zittern, diesen Krämpfen und der Spucke, die einem aus dem Mund sickerte, und den Tränen, die einem aus den Augen quollen, und jetzt brauchte sie die Toilette für etwas anderes, etwas Unangenehmes ...
    Säure kam aus ihr heraus, und es dauerte eine Ewigkeit. Inzwischen kratzte sie sich die ganze Zeit weiter. Ihre Hände krümmten sich zu Klauen, sie konnte die Finger nicht mehr strecken, sie schmerzten, jeder Muskel in ihrem Körper verkrampfte sich, sie würde von der Toilette fallen, und die Feuchtigkeit unter den Fingernägeln teilte ihrem letzten bisschen Verstand mit, dass sie sich blutig gekratzt hatte.
    Blut. Ihr Blut war so leer. Sie brauchte ihre Pillen. Warum hatte sie denn nicht mehr Pillen eingesteckt? Sie hätte sie doch verstecken können. Es wäre eklig gewesen, aber sie hätte es tun können. Warum denn nicht, warum noch länger so tun, als hätte sie noch einen Rest von Selbstachtung? War denn Selbstachtung all diesen Schmerz wert?
    Erbrochenes klatschte auf den Boden vor der Toilette. Zum Glück hatte sie sich die Jeans ausgezogen, als sie begonnen hatten, ihr auf der Haut zu scheuern. Was für eine Rolle spielte das jetzt noch? Man würde sie am Morgen entdecken, man würde kommen und sie finden, einen Krankenwagen rufen, und vielleicht würde der es durch den Schnee schaffen, vielleicht würden sie sie wegbringen, und dann wüsste jeder Bescheid. Jeder wüsste dann, wie widerlich sie war, wie schwach und verzweifelt, nur weil sie sich zu gut gewesen war, um das beste Versteck einer Frau zu benutzen.
    So hatte eine ihrer Pflegemütter das immer genannt. Chess sah die Frau wieder vor sich, nackt und dünn, wie sie Chess ganz genau zeigte, was man alles darin verstecken konnte, wie die kleine Chessie auch für sie dort etwas verstecken konnte, um dann mit dem Bus quer durch die ganze Stadt zu fahren, wo die netten Männer die Sachen wieder rausholten. Sie würden ihr dann ein paar Bonbons geben und etwas Geld für die Frau Pflegemutter. Sie sah sie wieder vor sich, sah sie alle in endloser Reihe, wie sie sie lüstern anstarrten, sie anbrüllten, ihr sagten, wie erbärmlich sie sei und dass man sie sowieso nur für eines gebrauchen könne, und sie spürte wieder ihre Schläge und wie sie mit prüfenden Fingern in ihr herumstocherten. Und die ganze Zeit über schrie sie sich innerlich an wegen der Sauerei, die sie angerichtet hatte, und Scham und Verzweiflung überwältigten sie.
    Toilettenpapier. Muss das Toilettenpapier finden. Den Mund abwischen ... die Beine abwischen. Erinnerungen wegwischen. Den Boden aufwischen. Sie würde es nicht besonders gründlich hinkriegen, aber sie

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