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Seepest

Seepest

Titel: Seepest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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Winter
erschießt.«
    ***
    Die
Anspannung, mit der sich Ulla Gauß-Rottmann zur Ruhe zwang, war mit Händen zu
greifen. Karin wusste, was sie tun musste, wollte sie sie zum Reden bringen.
Sorgfältig legte sie sich ihre nächsten Worte zurecht. »Was muss das für ein
Wechselbad der Gefühle für ihn gewesen sein«, fuhr sie fort. »Zuerst das
Eindringen des jungen Fischers mit dem erklärten Ziel, Ihren Sohn für den Tod
seines Vaters büßen zu lassen. Dann die rüde Verhaftung durch die spanischen
Polizisten … Und sollten Sie jetzt denken, viel schlimmer könnte es nicht
kommen, dann befinden Sie sich auf dem Holzweg, verehrte Frau Gauß-Rottmann. In
Wirklichkeit kommt es nämlich noch weit schlimmer, glauben Sie mir. Auch und
gerade für Sie, Verehrteste. Denn Sie hängen voll mit drin.«
    »Ah, jetzt verstehe ich … darum geht es Ihnen also!
Sie wollen mir drohen, mich erpressen? Da müssen Sie schon etwas früher
aufstehen, meine Liebe!« Entschlossen ging Ulla Gauß-Rottmann zum Telefon und
nahm den Hörer ab.
    Verwundert schüttelte Karin den Kopf. »Was haben Sie
vor?«, fragte sie gelassen.
    »Die Polizei rufen, was sonst.«
    Karins Kopfschütteln verstärkte sich. »Das darf nicht
wahr sein! Sie haben noch immer nichts begriffen!«
    »Dann drücken Sie sich gefälligst klarer aus!«,
entgegnete sie schneidend. Unschlüssig hielt sie den Hörer in der Hand. Je
länger der Wortwechsel dauerte, desto schneller ging ihr Atem, desto
verräterischer zuckten ihre Augenlider. In gewisser Weise ähnelte Rottmanns
Schwägerin einem Vulkan unmittelbar vor dem Ausbruch, ein Zustand, der Karin
nicht nur gelegen kam, sondern den sie bewusst herbeigeführt hatte. Genau das
war ihr Plan: die Frau zum »Ausbruch« zu bringen, sie so lange zu provozieren,
bis sie die Beherrschung verlor und zu reden begann. Auch Manu schien diese
Strategie gutzuheißen, jedenfalls nickte sie Karin ermutigend zu.
    Und endlich, endlich tat ihr Rottmanns Schwägerin den
Gefallen!
    »Was wissen denn Sie«, rief sie plötzlich mit sich
überschlagender Stimme. »Haben Sie auch nur die geringste Vorstellung davon,
was es heißt, jeden Tag aufs Neue vor einem selbstherrlichen Autokraten buckeln
zu müssen … sich für das Unternehmen abzustrampeln, dessen Namen man trägt? Und
sobald man ein kleines Stückchen vom Kuchen abhaben will, bekommt man auf die
Finger geklopft. Gehorchen oder verschwinden, das war die Maxime meines
Schwagers, eine Alternative gab es nicht. Und verschwinden, wieder zurücktreten
ins zweite Glied, in das Heer der Namen- und Besitzlosen … das, meine Liebe,
ist das Letzte, was ich will. Jetzt nicht mehr!«
    Unvermittelt öffnete sich die Terrassentür, Warholl
streckte den Kopf herein. »Alles in Ordnung, Chefin, oder brauchen Sie mich?«,
fragte er mit etwas schwerer Zunge.
    »Verschwinde!«, herrschte sie ihn an, ohne den Blick
von Karin zu wenden.
    Die war von der Unterbrechung alles andere als erbaut.
Sie wusste, dass sie die Festung noch längst nicht sturmreif geschossen hatte –
falls ihr das überhaupt gelingen würde.
    »Sie Ärmste! Da kam es Ihnen ja vermutlich nicht
ungelegen, dass Ihr Schwager unter unerklärlichen Umständen aus dem Leben
schied.«
    »Was wollen Sie damit andeuten?«, gab die
Gauß-Rottmann lauernd zur Antwort.
    »Na was wohl? Immerhin ist die Zeit der Fron für Sie
damit beendet. Das allein wäre schon Grund genug, beim Ableben Ihres Bruders
etwas nachzuhelfen, meinen Sie nicht?«
    ***
    »Hier
müsste es sein. Fahr mal langsam dran vorbei … Ja, wir sind richtig, die
Hausnummer stimmt. Ah, da vorn sehe ich Jos Beetle stehen.«
    Sie hatten ihren Wagen kaum abgestellt, als Jo bei
ihnen auf den Rücksitz schlüpfte.
    »Wie lange stehst du schon hier?«, wollte Wolf wissen.
    »Eine Viertelstunde.«
    »Was Verdächtiges wahrgenommen?«
    »Vor zehn Minuten kam ein Fußgänger an, ein Hüne von
Mann. Hat die Haustür aufgeschlossen und ist in dem Haus verschwunden. Was
Aufregenderes ist seitdem nicht passiert. Aber wollen Sie mir nicht endlich
verraten, was eigentlich los ist, Chef?«
    Wolf setzte sie mit wenigen Sätzen in Kenntnis.
    »Und jetzt?«, wollte sie wissen.
    »Jetzt versuchen wir, ohne Aufsehen zu erregen, ins
Haus und in die Wohnung der Gauß-Rottmann zu gelangen. Sie und Warholl müssten
längst hier sein, ebenso die Winter.«
    »Falls es sich um die Penthousewohnung handelt – da
hab ich Leute am Fenster gesehen. Außerdem hält sich jemand auf der

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