Seepest
Andererseits wusste niemand besser als er, dass nichts, rein gar nichts
von dem hätte verhindert werden können, was dann geschah.
Kaum hatte Ulla Gauß-Rottmann den Raum verlassen,
dröhnte ein Schuss durch das Penthouse, gefolgt von einem Poltern. Danach
herrschte einen endlosen Augenblick lang lähmende Stille.
»Was war das?«, fragte Jo erschrocken; sie hatte, von
dem Schuss angelockt, ihren Wachtposten an der Terrassentür verlassen und sich
zu den anderen gesellt.
»Die Pistole von Warholl«, sagte Karin Winter tonlos.
»Sie hatte seine Waffe in ihre Handtasche gesteckt.«
»Oh Gott!«
Als würde ein Bann von ihnen fallen, kam endlich Leben
in alle Anwesenden. Sekunden später umstanden sie die am Boden liegende Ulla
Gauß-Rottmann. Ihre schlaffe Hand hielt eine Pistole, daneben lag ihre Tasche,
sie selbst gab keinerlei Lebenszeichen mehr von sich. Wolf ging in die Knie und
fühlte nach ihrem Puls. Dann sah er hoch und schüttelte den Kopf. »Ruft den
Notarzt, für alle Fälle«, sagte er an Jo gewandt.
»Nicht so hastig, liebe Freunde«, ertönte plötzlich
eine fremde Stimme in ihrem Rücken. »Wie ich das sehe, ist ihr ohnehin nicht
mehr zu helfen … sie hat es so gewollt. Und nun dreht euch um, aber schön
langsam, bitte.« Breitbeinig stand Warholl im Durchgang hinter ihnen, eine
kleine, unscheinbare Damenpistole in der ausgestreckten rechten Hand.
»Vorsicht, das Ding hier schießt wirklich, der Herr Hauptkommissar wird Ihnen
das gerne bestätigen.« Er musste seinen Auftritt sorgsam vorbereitet haben, von
einem Besäufnis auf der Terrasse war ihm jedenfalls nichts anzumerken.
»Sie haben sie wohl nicht alle!«, empörte sich Karin
Winter. »Gerade eben hat sich Ihre Chefin erschossen, mit Ihrer Waffe – und nun kommen Sie da mit Ihrer lächerlichen Spielzeugpistole an …«
»Ist sie nicht niedlich, meine kleine Lady? Die ideale
Zweitwaffe. Man sieht sie kaum, solange sie in der Socke steckt.« Er lachte
meckernd, wurde jedoch sofort wieder ernst. »So, Herrschaften, der gemütliche
Teil der Veranstaltung ist damit beendet. Runter auf den Boden, alle, aber ein
bisschen dalli, wenn ich bitten darf … oder soll meine Lady nachhelfen?«
»Macht, was er sagt … habt ihr nicht gehört?«,
forderte Wolf seine Mitstreiter auf, die Warholl bislang wie die Schlange das
Kaninchen angestarrt hatten. Schon machte er Anstalten, auf die Knie zu gehen,
als er unvermittelt innehielt. »Was wollen Sie eigentlich erreichen, Warholl?
Sie kommen nicht weit, glauben Sie mir. Unten warten –«
»Sei still, Opa. Und jetzt runter mit dir!« Ungehalten
wedelte er mit der Waffe. Auch die anderen beeilten sich, seiner Aufforderung
nachzukommen. Für das, was hinter seinem Rücken geschah, hatte Warholl dank der
entstehenden Unruhe weder Augen noch Ohren – und so bemerkte er das drohende
Unheil erst, als es bereits zu spät war. Eine hünenhafte, schwarz gekleidete
Gestalt war von hinten an ihn herangetreten und presste ihm nun den Lauf eines
Revolvers in den Rücken.
»Schluss mit den Spielchen«, knurrte der Hüne in
kehligem Schwyzerdütsch. »Gib deine Lady her, Doc, du hast jetzt Sendepause,
oder? Sonst bist du der Nächste, der übern Jordan geht!« Langsam griff er nach
vorn, um dem wie versteinert dastehenden Warholl die Pistole abzunehmen. »So,
und jetzt an die Wand mit dir! Mach die Beine breit!« Er tastete ihn nach
weiteren Waffen ab, ohne fündig zu werden. »Sie haben doch sicher Handschellen
dabei?«, fragte er in Richtung der Polizisten.
Jo trat neben ihn, und gleich darauf schnappte die
Fessel zu.
Wolf, der sich zwischenzeitlich eine Zigarette
angezündet hatte und genüsslich Ringe in die Luft blies, ergriff das Wort.
»Herr Studer, nicht wahr?«
»So ist es. Keine Angst, ich verrate niemandem, dass
ich soeben die Polizei herausgehauen habe«, antwortete der grinsend.
»Ich werd verrückt … Sie sind
Studer?«, fragte Jo staunend. »Wie kommen Sie hierher … und warum gerade
jetzt?«
»Nun, wie soll ich Ihnen das erklären?«
»Bleiben Sie einfach bei der Wahrheit.«
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen musterte er Jo.
»Verstehe. Einmal Gauner, immer Gauner, was? Ich weiß wohl, dass Sie mich zur
Fahndung ausgeschrieben haben …«
»Wie das?«, warf Terry ein.
»Moment mal, Leute«, unterbrach Wolf. »Nun lasst uns
mal auf den Punkt kommen. Herr Studer hat uns Warholl vom Hals geschafft. Der
Kerl wäre sonst längst über alle Berge, und wir säßen hier fest. Ich denke, da
ist
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