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Seepest

Seepest

Titel: Seepest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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Heck angebracht hatten, war der Rumpf in
der Mitte regelrecht zusammengeklappt. Spanten und Wandungen hingen wirr
durcheinander, bildeten mit zerbrochenen Planken, geborstenen Fenstern und
Teilen der Inneneinrichtung ein einziges Chaos, von Kabeln und Seilen wie
Spinnfäden durchzogen.
    Minutenlang platschten wahre Sturzbäche an Seewasser
aus dem Wrack, vereinten sich mit tausend größeren und kleineren Rinnsalen –
als wäre der Bootskörper ein gigantisches Sieb. Kaum zu glauben, dass sich in
diesem Trümmerhaufen die Überreste zweier menschlicher Körper befinden sollten.
    Mitten in die herrschende Sprachlosigkeit hinein
klingelte Wolfs Handy. Er war nicht sonderlich erstaunt, als sich Karin Winter
meldete.
    »Ich störe Sie nur ungern, Herr Wolf –«
    »Was ich entschieden bezweifle. Tut mir leid, Frau
Winter, aber ich bin im Moment beschäftigt. Vielleicht heute Nachmittag?« Er
wollte die Verbindung kappen, doch wieder einmal hatte er die Hartnäckigkeit
der Journalistin unterschätzt.
    »Ich verstehe ja, dass in diesem Moment Ihre ganze
Aufmerksamkeit diesem Ungetüm von Wrack gilt«, fuhr sie unbeirrt fort,
»trotzdem –«
    »Moment mal … soll das heißen, Sie sehen uns zu?« Er
schaute sich um und erkannte in Sichtweite einige kleinere Boote. Wolf hätte
seine Oma darauf verwettet, dass in einem von ihnen die Winter saß, ihr
Teleobjektiv auf das triefende Wrack gerichtet.
    Nur mit Mühe konnte er ein Grinsen unterdrücken. Vor
so viel Frechheit musste man einfach kapitulieren.
    »Ich bekenne mich schuldig, Euer Ehren«, gab sie sich
zerknirscht, »aber Sie wissen ja, unsereins lebt nun mal von spannenden
Geschichten – je spannender, desto besser. Und immerhin verspricht dieser Fall
genau das zu werden …«
    »Holla, Frau Winter! Was bringt Sie dazu, von einem
Fall zu reden? Wieso schließen Sie ein Unglück von vornherein aus?«
    »Das will ich Ihnen sagen: Wie sonst wäre es zu
erklären, dass der anonyme Anrufer, der kurz nach Mitternacht die Medien über
die Explosion informierte, bereits von der sich anbahnenden Umweltkatastrophe
wusste?«
    Wolf stutzte. »Wie darf ich das verstehen?«
    »Überlegen Sie selbst: Vom Ufer aus war der Ölteppich
garantiert nicht zu sehen. Und doch sprach der Anrufer nicht nur von der
Explosion, sondern auch davon, dass sie eine große Menge Öl freigesetzt habe.
Ich habe mir die Aufzeichnung heute Morgen selbst angehört … Hallo, Herr Wolf,
sind Sie noch da?«
    »Äh, na klar. Ich brauche wohl nicht zu fragen, ob der
Anrufer seinen Namen genannt hat?«
    »Wäre der Anruf dann anonym erfolgt?«
    »Richtig … Anrufe dieser Art werden also bei Ihnen
mitgeschnitten?«
    Karin Winter lachte belustigt auf. »Ich habe gewusst,
dass Sie danach fragen würden. Aber sicher werden sie das. Ich habe sogar eine CD mit der Stimme drauf für Sie dabei. Und da eine Hand
bekanntlich die andere wäscht, hab ich mir gedacht …«
    »… bei dieser Gelegenheit aus der Nähe ein paar
Bilder von dem gehobenen Boot zu schießen, ich weiß. Aber so läuft das nicht,
Frau Winter. Sie würden mich damit in Teufels Küche bringen.« Er überlegte
kurz. »Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag: Bringen Sie mir die Scheibe
heute Nachmittag ins Aquarium. Dann werd ich sehen, was ich für Sie tun kann.
Okay?«
    »Aquarium« nannten die Überlinger ihre
Polizeidirektion. Seinen Spitznamen verdankte der hochmoderne Neubau seiner
Rundumverglasung, die den Beamten und Angestellten im Sommer eine gewisse
Tropentauglichkeit abverlangte.
    Karin stieß einen Seufzer aus. »Sie sind schon ein
verdammt harter Brocken! Also gut, dann bis heute Nachmittag. Ich zähle auf
Sie.« Damit war die Verbindung unterbrochen.
    Wolf ärgerte sich über sich selbst, während er sein
Handy einsteckte. Warum musste er immer so ein Geschiss um die Winter machen?
Das Einfachste wäre gewesen, sie abblitzen zu lassen, sich ihre
Einmischungsversuche zu verbitten. Nichts lag ihm ferner, als dem »Seekurier«
Informationen zuzuspielen – immerhin hatte er zu Zeitungen ein eher gespaltenes
Verhältnis. Lange genug hatten sie ihm mit schlechten Nachrichten das Frühstück
vermiest, sodass er sie nach dem Tod seiner Frau kurzerhand abbestellt hatte. Für
ihn taugten sie allenfalls als billiges Einwickelpapier.
    Doch er musste sich korrigieren – so einfach lagen die
Dinge leider nicht. Hatten er und seine Kollegen nicht mehr als einmal von
Karin Winters Recherchen profitiert? Er brauchte nur an den Fall

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