Seepest
wandte sich um. Und
tatsächlich, er kannte den Mann: Es war der klein gewachsene Zeitungsreporter,
mit dem sich vergangene Nacht der Schiffsführer gekabbelt hatte.
Wolf hatte allerdings nicht die Absicht, den Diskurs
zu vertiefen. Abgeschirmt von Jo und Terry gelang es ihm, auf das am Steg
wartende Beiboot zu entkommen. Kaum waren ihm seine beiden Mitarbeiter
nachgesprungen, legte es auch schon ab.
Nur wenige Minuten später hatten sie die
Unglücksstelle erreicht. Der Wind hatte sich gelegt, es war wolkig, aber trocken,
von einigen kurzen Schauern abgesehen. Die Überfahrt in dem Beiboot hatte keine
Probleme bereitet. Kurz war Wolfs Blick über die Mainau geglitten, hatte
flüchtig den Comturey-Keller und den barocken Schlossbau gestreift. Wann war er
das letzte Mal dort spazieren gewesen? Vor einem halben Jahr – oder lag es
länger zurück? Eine Schande, wenn man bedachte, wie sehr er die Blumeninsel und
ihr mediterranes Flair mochte!
Im Augenblick allerdings musste er die Mainau links
liegen lassen: Sie hatten soeben den Ort des Geschehens erreicht.
Wolf wollte anfangs seinen Augen kaum trauen. Die
Szenerie hier draußen hatte sich völlig verändert. Bereits bei der Anfahrt war
ihm aufgefallen, dass der Ölfilm auf der Wasseroberfläche verschwunden war. Wie
weggezaubert, nichts war mehr zu sehen von den schillernden Schlieren. Und
nichts mehr zu riechen! Na ja, fast nichts. Ganz
offensichtlich hatte man mit Biotecc auf das richtige Pferd gesetzt, die Leute
in den Labors dort schienen ihr Handwerk zu verstehen.
Die Zahl der Boote im Sperrgebiet hatte erheblich
zugenommen. Alles, was im Katastrophenschutz Rang und Namen hatte, war
vertreten: die deutsche und die Schweizer Wasserschutzpolizei, die Feuerwehren
der umliegenden Gemeinden, das Technische Hilfswerk und die DLRG , ja sogar ein Boot der Wasserwacht vom Roten
Kreuz. Wie Küken um eine Glucke scharten sie sich um das Bergungsschiff, dessen
hoch aufragender Kran zweifellos den Mittelpunkt der Armada bildete.
Zielsicher steuerte der Beamte, der sie abgeholt
hatte, den Überlinger Polizeikreuzer an, der direkt neben dem Bergungsschiff
festgemacht hatte. Ein Laufsteg verband die beiden Decks miteinander.
Das Überwechseln auf das tiefer liegende Heck des
Kreuzers ging ohne Schwierigkeiten vonstatten.
»Hallo, Leo«, grinste Horvath, der die Neuankömmlinge
bereits erwartet hatte. Lässig tippte er an seine Mütze, ehe er Jo und Terry
die Hand reichte.
»Ich staune – du noch immer hier?«, flachste Wolf.
»Schindest wohl Überstunden, was?«
»Du glaubst doch nicht, dass ich jetzt nach Hause gehe – ausgerechnet jetzt, wo’s spannend wird?« Er deutete auf das Bergungsschiff,
über dessen Deck geschäftige Männer eilten. Laut schallten Kommandos hin und
her, Motoren brummten, und langsam, unendlich langsam setzte sich eine Winde in
Bewegung und begann, ein daumendickes Stahlseil aufzurollen, gefühlvoll
gesteuert von einem der Bergungsspezialisten. Offenbar waren sie genau im
richtigen Moment gekommen.
»Gleich taucht das Wrack auf«, erklärte Horvath und
starrte wie die anderen Umstehenden gebannt auf den Kran, dessen Ausleger auf
die volle Länge ausgefahren war, sodass er das Heck des Schiffes um einige
Meter überragte. Über ihn lief das Seil, an dem die Taucher auf dem Seegrund
das verunglückte Boot vertäut hatten und das über quietschende Umlenkrollen zu
der Winde führte.
»Das Wrack kann mir vorerst gestohlen bleiben. Was
mich interessiert, sind die beiden Leichen«, murmelte Wolf und kramte in seinen
Taschen nach einer Gitanes. Jetzt darf man hier ja wohl wieder gefahrlos
rauchen, ohne dass einem alles um die Ohren fliegt, dachte er. Andererseits,
der Teufel war ein Eichhörnchen … Wenn Treibstoff im Spiel war, konnte man gar
nicht vorsichtig genug sein. Wäre nicht das erste Mal, dass sich Rückstände
durch offenes Feuer entzündet hätten. Mit einem Seufzen steckte er die Packung
wieder ein.
Endlos zogen sich die Sekunden hin. Wolf fürchtete
bereits, das Wrack könnte sich auf dem Weg nach oben von den Trossen gelöst
haben. Fahrig rückte er sein Barett zurecht, jeden Augenblick damit rechnend,
das abgerissene Seilende am Kran baumeln zu sehen. Doch nichts dergleichen
geschah. Stattdessen kam plötzlich ein gewaltiger stählerner Haken in Sicht,
von dem aus, zum Zerreißen gespannt, mehrere Ketten ins Wasser führten. An
ihnen musste das Wrack hängen. Und tatsächlich: Nur wenige Augenblicke später hoben
sich die
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