Seepest
Teilnehmer vorbeizulassen.
Sie musste nicht lange warten. Die junge Frau, die sie
wenig später am Arm fasste und beiseitezog, sah erstaunt auf.
»Ich muss dich kurz sprechen, Manu«, sagte Karin
halblaut. »Holen wir uns einen Kaffee?«
Während sie zu dem nahe stehenden Automaten gingen,
betrachtete sie Manuela Knapp prüfend aus dem Augenwinkel. Die adrette, wenn
auch zur Pummeligkeit neigende Zwanzigjährige mit dem offenen, stets wachen
Gesicht trug ihr dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der bei
jedem ihrer Schritte wie wild hin und her wippte. Anders als die meisten
Kolleginnen kleidete sie sich betont zurückhaltend, um nicht zu sagen bieder,
was ihr viele als mangelndes Interesse an den aktuellen modischen Strömungen
auslegten. Karin glaubte, den wahren Grund zu kennen: Manu war schlicht und
einfach klamm – kein Wunder bei dem, was der »Seekurier« seinen Volontären
bezahlte.
Manus Vater, ein arrivierter Konstanzer Internist,
hatte ihr bereits einen Studienplatz für Medizin in Marburg besorgt, als Manu
zu seinem Entsetzen mit dem Wunsch herausgerückt war, die Journalistenlaufbahn
einschlagen zu wollen. Davon war sie auch durch noch so viel Zureden nicht
abzubringen gewesen, sodass der aufgebrachte Vater sie schließlich
hinausgeworfen und alle Zahlungen an sie eingestellt hatte.
In den darauffolgenden Monaten hatte Manu die
Beharrlichkeit, mit der sie ihre beruflichen Ziele verfolgte, immer wieder
unter Beweis gestellt. Von Matuschek als Springerin eingesetzt, schrieb sie
zunächst versuchsweise mal für dieses, mal für jenes Ressort und jobbte
nebenbei für ihren Lebensunterhalt. Vor sechs Monaten schließlich hatte sie
einen der begehrten Volontärsplätze ergattert und war Teil der festen
Belegschaft geworden. Matuschek hatte offensichtlich aufs richtige Pferd
gesetzt: Stets lieferte sie gut recherchierte, klar und schnörkellos
formulierte Artikel ab.
Seitdem hatte sich Manu trotz ihrer unkomplizierten
Art nicht nur Freunde gemacht. Zwar ließ sie an ihrer Loyalität und ihrem Eifer
nie Zweifel aufkommen, doch anstatt ihren Vorgesetzten und Kollegen nach dem
Mund zu reden, vertrat sie, um ihre Meinung gefragt, beharrlich ihre Auffassung.
Das schmeckte naturgemäß nicht jedem.
Es war jedoch genau nach Karins Geschmack!
»Wie nimmst du ihn?« Manu deutete auf die Bedientasten
des Kaffeeautomaten.
»Schwarz, ohne Zucker, bitte.«
»Genau wie ich«, sagte Manu nickend.
Kurz darauf hielten beide einen dampfenden Becher in
der Hand.
»Um was geht’s?«, wollte Manu wissen.
»Hast du die Berichterstattung über die Bootsexplosion
gestern Nacht verfolgt?«
»Klar, und auch die über die Behebung dieser ominösen
Ölpest.«
Fragend kniff Karin die Augen zusammen. »Was meinst du
mit ›ominös‹?«
»Nun, nach meinem Dafürhalten ging da einiges nicht
mit rechten Dingen zu.«
Karin fand die Richtigkeit ihrer Entscheidung
bestätigt, sich Manu als Assistentin zu angeln. »Ich bin an der Sache dran«,
erklärte sie, »und so wie’s aussieht, könnte der Fall –«
»Also ein Fall!«, sagte Manu aufhorchend. Ihr
Interesse an Karins Ausführungen schien geweckt.
»Ja, und es könnte erheblich mehr dahinterstecken, als
wir momentan vermuten. Wenn dem wirklich so ist, kann ich die Recherchearbeit
und alles, was dazugehört, unmöglich allein schaffen. Hast du Lust,
einzusteigen?«
»Du … du meinst, ich könnte dir assistieren, versteh
ich das richtig?« So etwas wie Gier glomm in Manus Augen auf.
»Ja. Matuschek ist einverstanden. Was hältst du
davon?«
»Was ich davon halte? Wie kannst du nur fragen! Sag
mir, was ich tun soll.«
Karin musste über den Eifer der Volontärin lächeln.
»Lass es langsam angehen, noch wissen wir nicht, wie der Hase läuft. Ich
schlage vor, du machst dich erst mal schlau. Lies alles, was dir unter die
Finger kommt. Die komplette Berichterstattung, steht alles im Internet. Dann
reden wir weiter, okay?«
»Einverstanden … und danke. Ich fang sofort an. Ach
ja, wo soll ich sitzen?«
»Nimm den freien Platz gleich hinter meinem
Schreibtisch.«
***
Wie
hatte er sich auf diesen Schmarrn nur einlassen können? Voller Zorn – und
deutlich schneller als erlaubt – fuhr Wolf am nördlichen Seeufer entlang.
Selbst in Sipplingen, wo seit Jahren Tempo dreißig galt, hatte er den Fuß kaum
vom Gas genommen. In wenigen Minuten würde er Ludwigshafen erreichen. Das
lauschige Strandbad fiel ihm wieder ein, in dem er so manchen Sommertag
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