Seepest
ihre Plätze einnahmen, resümierte Wolf auf
die Schnelle, was er in der Vergangenheit über die Biotecc-Chefin gehört und
gelesen hatte. Es war herzlich wenig. In der Öffentlichkeit galt die Frau als
arrogant und extrovertiert. Ein Blick auf ihre äußere Erscheinung schien das zu
bestätigen: Sie war sorgfältig zurechtgemacht und mit jeder Menge teurem
Schmuck behängt. Schnell wurde Wolf klar, weshalb ihr erst unlängst ein
Reporter den Spitznamen »Barbie« angehängt hatte – die platinblonden Haare,
hinten zu einem Knoten aufgesteckt, forderten förmlich dazu heraus. Sie war mit
dem Bruder von Erich Rottmann verheiratet gewesen, der vor Jahresfrist
überraschend das Zeitliche gesegnet hatte, angeblich aufgrund massiver Alkohol-
und Tablettenprobleme. Seitdem teilte sie sich die Geschäftsführung des
Unternehmens mit Erich Rottmann und ihrem Sohn Alex, was – schenkte man den
Gerüchten Glauben – nicht selten in Hauen und Stechen endete.
Inzwischen saßen sie sich am Kopfende des gewaltigen
Tisches gegenüber. Ulla ergriff als Erste das Wort.
»Ich denke, wir können uns lange Vorreden sparen,
schließlich wissen wir alle, worum es geht. Vielmehr sollten wir unsere
Anstrengungen darauf richten, die Täter zu fassen und Erich so schnell wie
möglich freizubekommen – nicht wahr, Herr Kommissar?«
»Augenblick noch.« Anstelle einer Antwort wandte Wolf
sich an den jungen Mann mit Pferdeschwanz: »Wer sind Sie, wenn ich fragen
darf?«
»Oh, bitte entschuldigen Sie, Herr Kommissar«, mischte
sich Alex Rottmann ein. »Das ist Dieter Leschek, einer meiner engsten
Mitarbeiter. Wir haben ihn dazugeholt, weil er in die Nachforschungen über das
Verschwinden meines Onkels involviert war, wie Sie gleich hören werden.«
»Ein Zeuge also«, sagte Wolf und nickte verstehend,
während sich Jo Notizen machte. »Gut! Dann lassen Sie uns mit Herrn Rottmanns
Ankunft in Friedrichshafen beginnen. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist
er wie vorgesehen um Mitternacht gelandet. Seitdem fehlt von ihm jede Spur,
richtig? Ich hätte nun gerne gewusst: Wann haben Sie das erste Mal an eine
Entführung gedacht, oder anders gefragt: Wodurch sind Sie misstrauisch
geworden? Für eine Verspätung konnte es schließlich tausend Gründe geben, oder
nicht?« Er blickte abwechselnd auf Alex Rottmann und dessen Mutter.
»Keinesfalls. Aber um das zu verstehen, müssten Sie
meinen Schwager kennen«, antwortete Ulla Gauß-Rottmann. »Es war ausgemacht,
dass Erich sofort nach seiner Rückkehr aus den USA mit mir und Alex Verbindung aufnimmt; ein dringender Sachverhalt war zu
klären.«
»Um diese Zeit?«, staunte Jo.
»Warum nicht? Wir sind schließlich keine Beamten«,
entgegnete sie spitz. »Nun müssen Sie wissen: Auf Erich ist hundertprozentig
Verlass. Überspitzt formuliert könnte man sagen, er ist pünktlich bis zur
Pingeligkeit. Als er sich bis drei Uhr nicht gemeldet hatte, rief ich zunächst
seine Haushälterin und danach die Flughafenaufsicht an.« Sie schilderte kurz,
was sie bei den Telefonaten erfahren hatte. »Daraufhin hab ich mich mit meinem
Sohn beraten.«
»Vielleicht verstehen Sie jetzt, weshalb wir sofort an
eine Entführung dachten«, fuhr Alex Rottmann fort. »Jedenfalls bin ich dann
heute Morgen mit Herrn Leschek zum Flughafen gefahren –«
»Bitte der Reihe nach«, unterbrach ihn Jo: »Wie sollte
Ihr Onkel denn vom Flughafen nach Hause kommen, wie war das organisiert?«
Alex Rottmann wirkte einen Moment lang unkonzentriert.
Gleich darauf sammelte er sich aber wieder und beantwortete ihre Frage. Anschließend
resümierte er seine Gespräche mit den Piloten und der Vorfeldsicherung.
»Etwas später haben wir Jacques Studer beim Tor zum
Vorfeld gefunden. Nach seiner Aussage haben ihn die Täter mit einer Spritze
außer Gefecht gesetzt, irgendein schnell wirkendes Barbiturat. Unser Arzt hat
ihn wieder auf die Beine gebracht.«
Ungläubig riss Wolf die Augen auf. »Soll das heißen,
Sie haben Studer weggebracht, ohne irgendjemanden zu alarmieren?«
»Na, was denken Sie? Der Mann brauchte dringend Hilfe,
er war stark unterkühlt und –«
»Sie hätten einen Notarzt rufen und die Polizei
verständigen müssen«, fuhr ihm Wolf ins Wort. »Wie sollen wir jetzt den genauen
Tatverlauf rekonstruieren, von der Spurenlage einmal ganz abgesehen? Wann genau
haben Sie Studer gefunden?«
»So gegen halb neun.«
»Halb neun? Uns haben Sie erst gegen zehn Uhr
fünfundvierzig angerufen, mehr als zwei Stunden
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