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Seepest

Seepest

Titel: Seepest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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versuchte, einen Blick durch die blinden Scheiben in das
Wageninnere zu werfen, konnte aber nicht viel erkennen. »Wundert mich, dass die
Karre nicht in die Luft geflogen ist«, brummte er.
    »Ich vermute, das Feuer im Innenraum ist durch
Sauerstoffmangel erstickt, bevor der Tank explodieren konnte«, sagte Straub.
    »Feuer im Innenraum«, wiederholte Wolf
gedankenverloren und setzte zu einer Umrundung des Kleinwagens an. Plötzlich
machte er einen schnellen Schritt auf die Beifahrertür zu und bückte sich, um
einen am Boden liegenden Gegenstand genauer zu betrachten. »Und was ist das
hier?«, wollte er wissen. Die beiden anderen traten hinzu.
    »Eine Signalpistole, wie man sie auf dem See
verwendet, bei Notfällen oder so«, erläuterte Straubs Kollege eifrig.
    »Wir haben nichts angerührt, alles liegt noch so, wie
wir es vorgefunden haben«, kam Straub Wolfs Frage zuvor.
    »Nicht ganz«, mischte sich jetzt der Notarzt ein, ein
schmaler Mann in den Dreißigern mit abgespanntem Gesicht. »Ich musste natürlich
die Fahrertür öffnen, um mir den Mann genauer anzusehen.«
    »Es ist also ein Mann?«
    »Zweifelsfrei – auch wenn das Feuer nicht mehr viel
von ihm übrig gelassen hat. Hier, überzeugen Sie sich selbst.« Mit einem
Papiertuch fasste der Arzt an den Griff der Beifahrertür und zog sie auf.
Sofort stieg Wolf der widerliche Geruch verbrannten Fleisches in die Nase.
Reflexartig zuckten alle ein paar Schritte zurück – außer dem Notarzt, der,
ohne eine Miene zu verziehen, die Tür wieder schloss.
    Mitten in die entstandene Stille hinein stellte Wolf
die Frage, die sie alle bewegte: »Was, denkt ihr, mag hier passiert sein?« Um
Antwort heischend schweifte sein Blick von einem zum anderen.
    Die beiden Streifenpolizisten ließen dem Notarzt den
Vortritt. Der sah auf seine Armbanduhr. »Also gut, aber ich muss mich kurz
fassen, eigentlich sollte ich längst wieder unterwegs sein. Zunächst zum Opfer:
Ich denke, der Mann hat nicht viel mitgekriegt. Meine Diagnose: schlagartige
Bewusstlosigkeit durch akuten Sauerstoffmangel. Den Anzeichen nach dürfte der
Tod vor ungefähr drei Stunden eingetreten sein. Die eigentliche Todesursache …
nun, da tippe ich auf ein epidurales Brandhämatom, auf gut Deutsch: einen
Hitzeschock. Genaueres muss die Obduktion ergeben.«
    »An Ihnen ist ein Gerichtsmediziner verloren
gegangen«, meinte Wolf anerkennend.
    Der Notarzt winkte ab. »Hab ans Studium ein paar
Semester Forensik drangehängt, war dann aber nicht so mein Ding. Ein ziemlich
blutiges Handwerk, die Gerichtsmedizin.«
    »Kann ich verstehen«, sagte Straub nickend.
    »So viel zum Opfer«, fuhr der Notarzt fort. »Für weit
spannender halte ich aber eine ganz andere Frage: Wieso hatte der Mann keine
Gelegenheit mehr, den Wagen zu verlassen? Bei einem normalen Brand wäre das
sicher kein Problem gewesen. Präziser gefragt: Wie ist das Feuer überhaupt
entstanden, und was hat die ungeheure Hitzeentwicklung verursacht – haben Sie dafür eine Erklärung, meine Herren? Schließlich ist das Ihr Metier.« Jetzt war er es, der die Umstehenden der Reihe
nach ansah.
    »Ooch, Sie sind grad so schön in Fahrt, Doc – machen
Sie ruhig weiter«, ermunterte ihn Wolf. »Wie ich Sie einschätze, haben Sie sich
auch darüber schon den Kopf zerbrochen, stimmt’s?«
    »Manchmal denke ich: Hätteste mal lieber Kriminalistik
statt Forensik als Zweitfach genommen«, bestätigte der Notarzt, sein Gesicht
hellte sich etwas auf. »Na ja, Spaß beiseite. In diesem Fall muss man nur zwei
und zwei zusammenzählen, nämlich einmal die Signalpistole«, er deutete auf die
großkalibrige Waffe am Boden, »und dann das hier.« Er umrundete den Smart und
wies auf den schmalen Spalt zwischen dem oberen Türrahmen und dem leicht
heruntergekurbelten Fenster. »Es muss eine zweite Person beteiligt gewesen
sein. Der- oder diejenige hat die mit Leuchtmunition geladene Pistole einfach
durch den Schlitz hier gesteckt und abgedrückt. Sehen Sie diesen halbrunden
Rußhof hier auf dem Glas? Der dürfte dabei entstanden sein. Bei normalem
Gebrauch, das heißt im Freien, lässt sich mit einer Signalpistole kein großes
Unheil anrichten. In dem engen Innenraum eines Kleinwagens jedoch muss die
kurzzeitige Hitzeentwicklung nach Auslösen des Schusses höllisch gewesen sein.
Was weiter kein Wunder ist, immerhin reicht die Sprengkraft einer Patrone aus,
den Leuchtsatz wie eine Rakete in eine Höhe von gut hundert Metern zu treiben,
um dort noch eine ganze Weile

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